„Es gibt durchaus auch mal Tränen“

Zum Wochenstart ist die aktuelle Lage aufgrund der Corona-Pandemie am Carl-Thiem-Klinikum relativ unverändert. Derzeit werden 40 Patienten am CTK aufgrund einer Covid-19-Erkrankung behandelt, 11 davon intensivmedizinisch.

Nach wie vor ist die Personalsituation „im grünen Bereich“. Tagaktuell wird der Personalbestand im Krisenstab besprochen. Wenn nötig, werden notwendige Maßnahmen getroffen. So wurden bereits einzelne Stationen geschlossen, um Personal für die Behandlung und Betreuung der Covid-19-Patienten umlenken zu können.

Dr. Michael Prediger, Chefarzt der 3. Medizinischen Klinik am Carl-Thiem-Klinikum, ist als Lungenarzt und Infektiologe zuständig für die Behandlung der Covid-19-Patienten. Hier berichtet er über seine Erfahrungen mit der Krankheit.

Herr Dr. Prediger, seit März 2020 beschäftigt uns alle die Pandemie. Sie natürlich sehr intensiv. Wie haben Sie vor allem die erste Zeit der Pandemie erlebt? Wie ist die CTK auf ein solches Virus, auf eine solche Pandemie eingestellt?

Der erste Patient mit Covid-19 wurde am 19.März 2020 im CTK aufgenommen. Den Tag werde ich so schnell nicht vergessen, alle Mitarbeiter unserer Klinik waren durch die Berichte in den Medien sensibilisiert, keiner kannte das Krankheitsbild und niemand wusste, was auf uns zukommt. In den Medien sprach man anfangs nur von einer „fieberhaften Erkrankung“.

Der betroffene erste Patient kam aus Ischgl von einem Skiwochenende zurück und erkrankte schwer. Von seinen amerikanischen Freunden, die mit ihm dort waren, mussten ebenfalls 17 in einem New- Yorker Krankenhaus behandelt werden, zwei verstarben.

Hier in Cottbus betreuten wir im Frühjahr in der Lungenklinik insgesamt 10 Patienten, wenige, im Vergleich zu den anderen Bundesländern. Die Patienten waren im Schnitt um die 60 Jahre alt, also relativ jung. Damals war Cottbus das „Wunder der Coronakrise“. Cottbus hatte Glück, hieß es in den Medien.

Außerdem haben wir an unserem CTK- Standort einen großen Vorteil: Es gibt das „Haus 41“, unsere Lungenklinik, mit einer speziellen Belüftungstechnik, eine geniale Idee unseres ehemaligen Chefarztes der Mikrobiologie PD Dr. Werner Bär. Ich höre noch seine Worte: Wir brauchen ein solches Haus, technisch und räumlich ausgestattet für eine mögliche Pandemie. Er hatte Recht. Das Land Brandenburg stimmte dem Konzept zu, es gab Fördermittel.

In den Sommermonaten passierte dann aus infektiologischer Sicht nichts, kein Covid- 19 Patient wurde aufgenommen. Die vorbereiteten Stationen waren leer. Dafür wurden umso mehr Verdachtsfälle auf eine Infektion mit SARS- CoV-2 eingewiesen. Bei keinem der über 100 aufgenommenen Patienten konnte eine Infektion nachgewiesen werden. Die Unsicherheit vieler Kollegen, ambulant und stationär, hinsichtlich der klinischen Einschätzung war groß, keiner wollte einen Fehler machen, keiner einen Fall übersehen.

Sie haben alle Covid-19- Patienten, die im CTK behandelt worden sind, persönlich erlebt. Was macht Covid-19 aus, woran leiden die meisten Patienten?

Inzwischen haben wir im „Haus 41“ über 70 Patienten stationär betreut, davon mehr als 60 allein im Monat Oktober. Diese Patienten sind, im Gegensatz zum Frühjahr, deutlich älter und haben viele Begleiterkrankungen.

Für mich stellt sich Covid-19 eindeutig als Systemerkrankung dar, denn es ist bei diesem Krankheitsbild nicht nur die Lunge als Organ betroffen. Untersuchungen haben gezeigt, dass auch das Herz, das Zentralnervensystem, die Muskulatur und andere Organsysteme beteiligt sein können.

Im Unterschied zur Influenza sind die meisten der Sars- CoV-2 infizierten Personen symptomlos, merken nichts von ihrer Infektion, sind aber dennoch ansteckend. Die Erkrankten, die dann stationär betreut werden müssen, sind alle schwer beeinträchtigt. Vor allem die ausgeprägte Luftnot steht im Vordergrund. Die durchgeführten Blutgasanalysen zeigen deutliche pathologische Veränderungen, die Sauerstoffparameter im Blut sind extrem erniedrigt, so dass alle Patienten eine hohe Sauerstoffzufuhr erhalten müssen. Weitere typische Symptome sind die ausgesprochene Leistungsschwäche, Abgeschlagenheit, Muskel- und Gliederschmerzen, sowie oft ein quälender, produktiver Husten.

Verglichen mit den Influenzainfektionen ist der Anteil an Schwerkranken, die intensivmedizinisch betreut werden müssen, höher. Deshalb gibt es tägliche Abstimmungen mit den Intensivmedizinern unseres Hauses.

In den Medien wird oft betont, dass es vor allem ältere Menschen sind, die schwer erkranken. Es klingt, als ob Sie ähnliche Erfahrungen haben.

Wie bereits erwähnt, waren es im Frühjahr eher die 60-jährigen Patienten. Jetzt ist es die Altersgruppe zwischen 75 und 90 Jahren, die wir in unserer Klinik behandeln. Das kennen wir bereits von der jährlichen Influenzazeit, denn auch da ist die ältere Generation mit chronischen Begleiterkrankungen wie chronische Herzerkrankungen, COPD, Diabetes mellitus hauptsächlich betroffen.

Mittlerweile musste zum wiederholten Mal ein Besuchsverbot am CTK ausgesprochen werden. Was bedeutet das für die Patienten auf den Quarantäne-Stationen? Wie versucht Ihr Team einer möglichen Vereinsamung gegenzusteuern?

Das ist ein wichtiger Punkt, den Sie ansprechen. Betroffene Patienten haben während des gesamten stationären Aufenthaltes keinerlei persönlichen Angehörigenkontakt und das belastet sie verständlicherweise sehr.

Deshalb versuchen wir alle, Pflegepersonal, Ärzte, Physiotherapie, mit aufmunternden Worten, persönlichen Gesprächen und viel Aufmerksamkeit, den Patienten die Zeit auf der Station erträglich zu machen. Die Patienten dürfen sich nicht alleingelassen fühlen.  

Nun leben wir bereits mehrere Monate mit der Pandemie, nahezu täglich gab es neue Entscheidungen des Krisenstabs. Das medizinische Personal hat sich extrem flexibel auf veränderte Rahmenbedingen eingestellt. Was wünschen Sie sich, was sollte das CTK aus der Pandemie mitnehmen?

Zunächst danke ich meinem gesamten Team für die gute Arbeit. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehen zurzeit bis an ihre physische Leistungsgrenze. Es gibt durchaus auch manchmal Tränen beim Personal, denn neben der körperlichen Belastung ist momentan der psychische Druck besonders hoch. Deshalb versuchen wir, uns durch Gespräche gegenseitig mental aufzubauen.

Aus dieser Pandemiezeit müssen wir alle lernen! Wir sollten und müssen uns zukünftig besser auf solche Situationen vorbereiten.

Infektiologische Weiterbildung des gesamten medizinischen Personals des CTK, nicht nur das der Lungenklinik, gezielte Ausbildung von infektiologisch geschulten Fachschwestern, sowie mehr pflegerisches und ärztliches Personal für festzulegende infektiologische Bereiche, gehören für mich dabei zu den Schwerpunkten.

Aber auch die Ausbildung von ärztlichen Kollegen zu Infektiologen ist dringend erforderlich.

Ich bin nicht nur Pneumologe, sondern als Infektiologe seit vielen Jahren auch Püfungsvorsitzender an der Landesärztekammer Brandenburg für das Fach „Infektiologie“. In der gesamten Zeit haben nur zwei Kollegen die Prüfung für dieses Teilgebiet abgeschlossen. Im Land Brandenburg haben wir leider nur eine Handvoll Infektiologen, denn bisher wurde dieser Fachbereich völlig unterschätzt.

Solche Extremsituationen, wie wir sie zur Zeit erleben, werden auch in Zukunft auftreten. Ein Krankenhaus der Maximalversorgung, wie das CTK, muss darauf vorbereitet sein.

Neben Covid- 19 gibt es nach wie vor noch andere, durchaus gefährliche Infektionskrankheiten, wie  Influenza, Tuberkulose, Masern, um nur einige zu nennen. Leider werden diese Krankheiten heute oft zu Unrecht  verharmlost- wir haben uns einfach an sie gewöhnt.

Auch wenn es ein Blick in die Glaskugel ist – was glauben Sie, wie lange wird uns Covid-19 noch begleiten?

Das Sars-CoV-2 Virus wird uns in Zukunft immer begleiten. Wie lange die Pandemie andauert, können sicher Experten, wie Epidemiologen und Virologen besser voraussagen.

Ich persönlich denke aber, dass wir uns noch über eine längere Zeit mit dieser Extremsituation auseinandersetzen müssen, denn die Infektionszeit, die normale Grippesaison hat ja noch nicht einmal begonnen.

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