Angriffe aus der Halbwelt, Weltreise im Rollstuhl, Sex mit Sox sowie die Rache des Fallschirmjägers – Fünf E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis

Welche Gedanken haben Sie, wenn Sie von einem Fallschirmjäger hören? Wahrscheinlich denken Sie auch an harte Kerle, die vieles, fast Unmögliches können, oft als Einzelkämpfer unterwegs sind und gewissermaßen wie James Bond über die „Licence to Kill“ verfügen – die Lizenz zu töten, wie der 16. Streifen aus der Reihe des Staragenten im Dienste ihrer Majestät lautet. Und so ähnlich sollen auch die berühmten NVA-Fallschirmjäger – die Soldaten mit den orangenfarbenen Mützen – ausgebildet worden sein, mit der Fähigkeit, lautlos zu töten. Einem solchen ehemaligen NVA-Fallschirmjäger begegnen wir im fünften und letzten der insgesamt fünf Angebote, die wie immer eine Woche lang zum Sonderpreis im E-Book-Shop www.edition-digital.de (Freitag, 13.11.20 – Freitag, 20.11. 20) zu haben sind. Sein Name ist Horstmann, Horst Horstmann. Und der Mann hat einen Plan, will für Gerechtigkeit streiten und Rache nehmen. Worum es genau geht und ob es dem einsamen Helden gelingt, seinen Plan zu verwirklichen, das schildert Jan Flieger in seinen beiden kurz nach der Wende spielenden Action-Krimis „Satans tötende Faust“ und „Im Höllenfeuer stirbt man langsam“, die in einem E-Book zusammengefasst sind. Und auch die anderen vier Sonderangebote dieses Newsletters präsentieren wie schon in der Vorwoche jeweils mindestens zwei E-Books in einem.

Fantasy-Freunde dürfen sich auf die vier Bücher der Nadja-Kirchner-Reihe von Johan Nerholz freuen – und auf jede Menge scheinbar unmöglicher Abenteuer in verschiedenen Welten, einschließlich solcher in der der nicht ungefährlichen Halbwelt.

Gleich mit zwei Offerten ist Hans-Ulrich Lüdemann in diesem Newsletter vertreten – zum einen mit „Happy Rolliday“, in dem er von mehreren Reisen eines querschnittsgelähmten Rollstuhlfahrers nach Amerika und anderswo berichtet, sowie mit der Detektei-Rote-Socke-Krimi-Reihe, die von einer diplomierten Kriminalistin mit DDR-Abschluss und einem ungewöhnlichen Nachnamen handelt, die sich in den ganz anderen Umständen nach der Wende zurechtfinden und durchschlagen muss. Zumal damals auch im Osten des zusammengeschleuderten Landes eine ganz andere Kriminalität zu blühen begann als vor Wende und Mauerfall.

Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat – also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. Und da hat die Literatur schon immer ein gewichtiges Wort mitzureden und heute erst recht. In dieser Woche geht es um inzwischen einige Jahrzehnte zurückliegende Geschehnisse in Südamerika, eine Bananenrepublik und US-amerikanische Außenpolitik, die nicht erst in jüngster Zeit einen mehr als gewissen Hang zum Einmischen hatte, wenn die Dinge nicht so liefen, wie man sich das in Washington vorgestellt hatte. Und das geht nicht immer mit dem überein, was die Menschen dieser Länder selber wollen.

Die Roman-Reihe „Die Dominikanische Tragödie“ von Wolfgang Schreyer besteht aus drei Büchern, deren Erstausgaben alle beim Mitteldeutschen Verlag Halle – Leipzig erschienen waren, 1971 „Der Adjutant“, 1973 „Der Resident“ 1973 und „Der Reporter“: Die Handlung setzt im Frühjahr 1961 in Santo Domingo ein und umfasst insgesamt Jahre, in denen in der Dominikanischen Republik, die zu diesem Zeitpunkt bereits seit 31 Jahren von Diktator Trujillo mit eiserner Hand regiert wird, viel passiert. In jedem Buch steht jeweils ein anderer Mann im Mittelpunkt. Im ersten Teil ist es Juan Tomás, 1. Adjutant des Diktators, der nicht nur sein Leben, sondern auch sein Land ändern will. Was aber wollen seine Gefährten? Im Mittelpunkt des 2. Teils, der nach dem erfolgreichen Attentat auf Rafael Leónidas Trujillo Molina vom 30. Mai 1961 spielt, steht der neue US-Botschafter Henry W. Mitchell, ein Amateurdiplomat und Mann John F. Kennedys. Im Mittelpunkt des 3. und abschließenden Teils steht der nordamerikanische Auslandskorrespondent David Varela. Alle drei Männer erleben ein wechselvolles Stück dominikanischer Geschichte, die nicht gut ausgeht – für das Volk des karibischen Landes. Und so liest sich der wie immer bei Schreyer gut recherchierte, spannend geschriebene und politisch tiefgründig angelegte Abenteuerroman. Hier ein Auszug aus eben jenem Teil 3:

„Der nächsten Nachrichten wegen schaltete Varela das Fernsehen ein. Er musste sich warm lesen, um schreiben zu können, doch, wie so oft in letzter Zeit, erwärmte ihn sein Text nicht. Auf der letzten Seite stand: „Obwohl nach offiziellen (unüberprüfbaren) Angaben nur 25 Prozent der Stimmen auf ihn entfielen, wurde Delgado für Salazar gefährlich. Totalitäre Regierungen sind nicht elastisch genug, sich eine kontrollierte Opposition zu leisten, sie kennen letztlich nur ein Machtmittel, die Gewalt. Delgado wurde aus der Luftfahrtdirektion entlassen, vom Militärdienst suspendiert und seines Generalsrangs entkleidet. Von Spitzeln umringt, die sich ihm bald offen zeigten und den impulsiven Mann provozierten…“

Varela verlor den Faden, seine Gedanken schweiften zu Penny. Wie immer fragte er sich, wo sie gerade sein mochte, was sie dort tat und mit wem. Ja, er fing an, unter Zwangsvorstellungen zu leiden. Weshalb wohl weigerte sie sich, zu ihm zu ziehen? Ihre Unabhängigkeit, das verstand er, obschon hier Platz genug war für zwei; aber ein Drittel ihres Gehalts ging für die kleine Wohnung drauf, und was hatte sie davon? In gewisser Weise machte sie ihn krank. Tatsächlich, er fühlte sich kaum noch durch andere Frauen versucht, seine Phantasie beschäftigte sich einzig mit ihr. Er konnte sie wirklich nur vergessen, wenn sie bei ihm war, sich nur beruhigen, indem er sie berührte; und das hatte es noch nie gegeben. Ein weiteres schlechtes Zeichen: die Arbeit reizte ihn nicht mehr. Die Welt sah trübe aus. Nein, es gab nicht mehr viel zu erhoffen.

Außerdem goss es, Wasser schlug an die Scheiben, stürzte durchs Regenrohr. Kampfflugzeuge vom Typ „Thunderchief“, so wurde gemeldet, hätten die Ham-Rong-Brücke bombardiert, hundert Kilometer südlich von Hanoi, sowie die Radarstation Vinh Linh zerstört. Auf Hawaii habe Verteidigungsminister McNamara die Beratung mit dem Saigon-Botschafter General Taylor und dem Oberbefehlshaber Pazifik Admiral Grant Sharp beendet. In Santo Domingo stehe ein Putschversuch rechtsgerichteter Militärs vermutlich vor dem Zusammenbruch. Bei Bajadoz, nahe der Grenze zu Portugal, seien heute nach Angaben der spanischen Polizei die Leichen von Humberto Delgado und dessen brasilianischer Sekretärin von zwei Kindern entdeckt worden… Das hätte Varela elektrisieren müssen, er begriff, es bestätigte seine Entführungsthese, wertete das Manuskript erheblich auf, zwang zum Weiterschreiben. Doch eben dieser Zwang war ihm jetzt nur lästig.

Delgado verscharrt, der Biograph hockt träge da… Nun, er kannte seine Schwierigkeiten, oder doch eine davon, ganz gut. Von ihm wurde erwartet, dass er in jedem Sachverhalt die Story sah, den menschlichen Aspekt. Es musste immer um Menschen gehen, um Männer meistens, denn die machten Geschichte. Das aber hieß, Entwicklungen als Schicksale zu schildern, den Niedergang des US-Freunds Salazar etwa als Ministeraffären mit Minderjährigen („Rosa Ballett“) oder als Tragödie eines Don Quichote wie Delgado. Die Story sollte verblüffen, als serviere man dem Leser in Madeirasoße einen Schuh. Nortons Rezept! Das hatte den groß gemacht, zum Enthüllungsjournalisten Nummer eins, zum Korruptionsschnüffler mit tiefem Einblick in Vorgänge der hohen Politik; an die tausend Zeitungen druckten sein Zeug nach, Radio- und Fernsehstationen kauften es auf. Am Anfang seiner Karriere war der Chef sich nicht zu schade gewesen, Edgar Hoovers Mülltonne eigenhändig zu durchwühlen, bis er Tabletten gegen Blähungen fand: das Land habe ein Recht, zu erfahren, dass der FBI-Direktor an Verdauungsstörungen leide, was natürlich die Amtsführung vergiften könne… Und heute gefürchteter Kolumnist, Chef eines zwanzigköpfigen Enthüllungsteams – und er, Varela, im Hinblick aufs Ausland die rechte Hand.“ Und damit zu den ausführlicheren Vorstellungen der anderen vier Sonderangebote dieses Newsletters.

Zum ersten Mal konnten Leserinnen und Leser 2017 in einer Eigenproduktion der EDITION digital die Bekanntschaft von Nadja Kirchner machen: In diesem Jahr veröffentlichte Johan Nerholz – der Autorenname ist ein Pseudonym – den ersten von bislang vier Teilen seiner neuen Fantasy-Reihe, die sich rasch zu Verlagsbestsellern entwickelten – „Nadja Kirchner und die Raben aus der geheimnisvollen Senke“. Im Jahrestakt folgten „Nadja Kirchner und die gefährlichen Wesen der Halbwelt“ (2018), „Nadja Kirchner und das Kabinett der Überführung“ (2019) und in diesem Jahr „Nadja Kirchner und der Sohn der Zanura“ (2020). Aber wer ist eigentlich Nadja Kirchner? Hier eine kurze Erklärung zu den bisherigen vier Teilen der Fantasy-Saga: Ein zwölfjähriges Mädchen, das keine Eltern mehr hat, wächst in einem Dorf bei ihren Großeltern auf. Auch wegen ihrer guten Leistungen in der Schule wird die kleine und stille Nadja von anderen Jungen aus dem Dorf angefeindet und sogar angegriffen. Doch niemand scheint ihr zu helfen. Da findet sie eines Tages einen jungen Raben, den sie mit nach Hause bringt. Gemeinsam mit ihren Großeltern pflegt sie ihn gesund. Und dann wird das Tier offensichtlich von seinen Raben-Eltern abgeholt. Einer der beiden Raben ist riesig. Als Nadja kurze Zeit später wieder von einigen Jungen angegriffen wird, kommen ihr die Raben zu Hilfe und vertreiben die Angreifer. Kurz darauf wird Nadja  in die Senke gelockt, die früher mal ein kleiner See war und die schon lange kein Mensch mehr betreten konnte. Dort gibt sich ihr der riesige Rabe Rontur zu erkennen. Er ist der Anführer der Raben und kann sprechen.

Ab sofort steht das Mädchen unter dem Schutz dieser Vögel. Und Nadja lernt sich zu wehren – auch mit übernatürlichen Mitteln. Die braucht sie aber auch, da das Mädchen von übernatürlichen Gestalten angegriffen wird. Zu ihrem Schutz wird der riesige ehemalige Dämonenhund Takesch abgestellt. In diesem Zusammenhang lernt Nadja auch eine ihr bisher unbekannte Seite ihrer bei einem mysteriösen Autounfall getöteten Mutter Manuela kennen. Das ist der Beginn einer großen Geschichte, die für Nadja und ihre Gefährten ebenso wie für Fantasy-begeisterte Leserinnen und Leser viele Abenteuer, Gefahren und Wendungen bereithält. Und nicht selten sieht es nicht gut aus für das mutige Mädchen, das sich immer wieder auf neue Herausforderungen einstellen muss, geradezu unglaubliche Herausforderungen, die mit normalen menschlichen Kräften wohl nicht zu bestehen sein würden. Das gilt auch für den vierten Teil der keineswegs zu Ende erzählten Reihe: Nadja Kirchner ist eigentlich, nachdem sie einen Tag in Berlin unterwegs war, auf dem Weg nach Hause. Aber sie wird im Zentrum der Stadt Zeugin eines Autounfalls, bei dem ein kleines Kind verletzt wird. Dabei hindert sie einen Jugendlichen daran, das bewusstlose Kind zu fotografieren und hilft dem kleinen Jungen heimlich mit ihren magischen Heilfähigkeiten. Auf dem Weg nach Hause wird sie von dem Jugendlichen und zwei seiner Kumpane verfolgt und auf einem verlassenen Hinterhof angegriffen. Mühelos gelingt es ihr, die drei Angreifer in die Flucht zu schlagen. Als sie meint, es sei vorbei, und den Hof wieder verlassen will, wird sie noch einmal von etwas angegriffen, das sie nicht identifizieren kann. Doch erfährt die inzwischen siebzehnjährige Schülerin, dass es sich um einen verirrten, jungen Zanura handelt und dass eine alte Unsterbliche auf der Suche nach ihm ist, um das Junge zu töten. Das darf ihr nicht gelingen, denn sonst sind wieder einmal die Welten der Raben, Geister und anderer Wesen in Gefahr, denn die versteckt lebenden Zanuren würden sich an jedem rächen, der ihnen über den Weg läuft. Mit ihnen ist nicht zu spaßen. Die Raben nehmen das Junge deshalb in Gewahrsam und verstecken es in der Senke. Aber auch Nadja Kirchners Leben ist in unmittelbarer Gefahr, denn die alte Sumpfbewohnerin Iorla ist Nadja auf den Fersen, weil sie nicht daran glaubt, dass die Raben nicht wissen, wo sich der Zanura aufhält. Hier ein hoffnungsvoller Auszug aus dem bislang jüngsten Band der Nadja-Kirchner-Fantasy-Reihe:

Nadja wird gefunden

Die Bannherrin stand noch nicht lange am Stein, da erschien ein Rabe bei ihr und richtete Nadja von der Wasserhexe aus, dass sie noch eine Weile brauchen würde, bis sie Zeit für sie hatte. Die Fütterung des kleinen Zanura war aber schon beendet. Nadja bedankte sich und beschloss, ein Stück im Bereich des trockenen Sees zu laufen. Bald hatte sie die Bannmauer erreicht, die die Grenze der Senke markierte. Dann drehte sie sich um und wollte zurück.

„Wohin so eilig?“ Die Stimme klang hart. Nadja fuhr herum. Sie musste nicht erst lange rätseln, wer das war. Eine alte Frau stand vor ihr, die Nadja inzwischen zur Genüge kannte. Sie hatte sie schon im Raum der Schriftsteine, hier am Rand der Senke und am Feuer der Muhmen gesehen und sie sofort erkannt. Nadja musterte die alte Frau eingehend. So nahe hatte sie die alte Iorla noch nicht vor sich gehabt. Sie betrachtete die Alte eingehend, um sich alles einzuprägen. Die aus dem Sumpf gekommene Greisin musste dem Gesicht nach zu urteilen bereits uralt sein. Im Widerspruch dazu stand ihre stolze und straffe Körperhaltung, die Beweglichkeit und Kraft vermuten ließ. Ihr Gesicht war wettergegerbt und zerfurcht. Die fast gelben Augen berührten Nadja unangenehm und ihre Nase war überdimensional groß. Damit sah sie außerordentlich hässlich aus.

„Du bist die Bannherrin von dieser Senke hier?“ Sie hatte sehr bestimmt gefragt.

„Ja, aber das weißt du doch bereits“, antwortete Nadja. Sie gab sich kühl und ruhig.

„Du weißt, wer ich bin?“ Wieder war die Frage sehr militant gestellt worden.

„Man hat mir von dir erzählt.“

„Hat man?“ Iorla hatte ihre Hände in ihre schmalen Hüften gestemmt.

„Natürlich“, erwiderte Nadja. „Du warst ja erst meinetwegen hier. Man sagt, du sammelst alle Informationen über mich, die du kriegen kannst und Raskara war deswegen auch schon bei dir.“

„Das weißt du auch schon?“

„Aber sicher doch! Dachtest du, die Raben verheimlichen mir so etwas? Kaduro und Genderich hast du ebenfalls aufgesucht.“ Nadja hatte beschlossen, weiterhin offensiv zu bleiben.

„Dann weißt du sicher auch, weswegen ich hier bin!“

„Ich kann es mir denken! Man hat mir von deiner Suche nach dem Sohn von der obersten Zanura erzählt.“ Nadja hatte nun auch ihre Hände in die Hüfte gestemmt.

„Und?“

„Was?“ Nadja wartete ab.

„Wo ist das Kind der Zanura?“

„Ich weiß es nicht. Es hat mich auf dem Hinterhof angegriffen und ist dann in das unbewohnte Haus geflohen. Ich habe es nicht weiterverfolgt und dann hat der Kuriergeier, der mich wieder nach Hause gebracht hat, Rontur informiert. Der hat alles überprüfen lassen und erst da erfuhr ich, dass es ein junger Zanura war und man erklärte mir, was Zanuren überhaupt für Wesen sind. Aber das weißt du doch schon alles von Raskara und Rontur.“ Nadja blieb ruhig.

„Du hast noch nie vorher einen von denen gesehen?“ Iorla schien das nicht zu glauben.

„Nicht in Wirklichkeit“, antwortete ihr Nadja.

„Sondern?“

„Ich habe Bilder gesehen, nachdem ich von einer angegriffen wurde. Das, was mich angriff, konnte ich nicht erkennen. Es ging alles viel zu schnell!“ Nadja hatte bis jetzt noch nichts gemacht, was die Alte stutzig werden ließ.

„Du weißt also wirklich nicht, wo es ist?“ Iorla sah Nadja durchdringend an. Die erwiderte ihren Blick.

„Nein!“ Ihre Stimme war fest. Eine Weile sagte die Alte nichts. Dann nickte sie sachte.

„Wenn du mich anlügst, geht es dir schlecht!“ Die Drohung war unüberhörbar, aber Nadja fühlte sich hinter den Bannmauern sicher. Hier konnte sie ihr nichts anhaben.“

Anfang des ersten Jahrzehnts des neuen Jahrtausends veröffentlichte Hans-Ulrich Lüdemann insgesamt vier Teile seiner „Happy Rolliday“-Reihe: 2003 und 2004 erschienen im Verlag Ulmer Manuskripte Albeck bei Ulm „San Francisco and so on“ und „Kapstadt und so weiter“. 2005 erschienen diesmal im BS-Verlag Rostock „Florida and so on“ und „Dubay – Sydney – Singapur und so weiter“: „Es ist nach wie vor ein gewagtes Unternehmen, als Rollstuhlfahrer mit dem Flugzeug unterwegs zu sein. Und das nicht nur von Berlin nach München, sondern gleich über den Großen Teich. Aber es ist wirklich eine Frage der Organisation, sich auf so einen Trip einlassen zu können. In diesem konkreten Falle traf manch Positives zusammen: Das Wichtigste war wohl, dass unser Gastgeber in San Fran (sage niemals Frisco, dann gibt es Zanke mit Einheimischen!) ein alter Schulfreund war. Dieser war Anfang der Neunziger von seiner Reederei als Repräsentant mit Familie, Haus und Auto in die wohl schönste Stadt Kaliforniens geschickt worden. Durch diese private Anbindung haben wir in vierzehn Tagen ein Maximum sehen und erleben können, was seinen Niederschlag im vorliegenden Reise-Essay fand. Der Zusatz and so on bedeutet, dass es nicht nur um diese Reise geht – und so weiter meint, dass auch mein Leben als DDR-Schriftsteller vor und nach dem Unfall 1977 eine Rolle spielen wird. Verknüpft mit eigenen Beobachtungen und Erlebnissen im US-amerikanischen Alltag, wie er sich nicht nur bei meinem Schulkameraden und seiner Familie zeigte. Sehenswürdigkeiten zu beschreiben halte ich für weniger sinnvoll; das können Reisehandbücher wie beispielsweise der Baedeker viel besser und umfangreicher.

Hatten wir 1993 das Glück, dank eines Schulkameraden Kalifornien besuchen zu können, so waren es Anfang 2001 meine Nichte Vera und ihr Mann Horst van Biljon, die unseren Aufenthalt in Kapstadt und Umgebung begleiteten. Zwischenzeitlich waren wir durch Reisen nach Kanada, Guernsey und Zypern erfahrene Passagiere, so dass die zwölf Stunden Flug kein Problem darstellten. Dank meiner Nichte waren wir auf dem Tafelberg, am südlichsten Punkt des Kontinents in Cap Agulhas, in der Century City, der größte Kauf- und Spaßpark auf unserer südlichen Halbkugel. Beinahe Heilige Pflicht war für uns eine Visite auf Robben Island zu Ehren Nelson Mandelas.

Nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit war nicht zu befürchten, dass es über kurz oder lang zu einer Wiederholung des menschenverachtenden Anschlags auf die Twin Towers vom 13. September 2001 kommen würde. Also gingen wir in die Planung für den Trip nach Florida. Unser Ziel war der Westen, genauer gesagt Ft. Myers am Golf von Mexiko.“

Der querschnittgelähmte Autor reist mit dem Rollstuhl nach Dubai, Singapur und Sydney. Er beschreibt dabei auch seine Probleme, alle Exkursionen mit dem Rollstuhl zu bewältigen, plaudert ein bisschen aus seiner Biografie und spart die politische Situation in den besuchten Ländern nicht aus.

Mit einem größerem Irrtum ist wohl selten eine Weltreise begonnen worden: „Als die Frage stand, wann wir unseren Australien-Trip starten sollten, da fielen mir die XX. Olympischen Sommerspiele 2000 ein mit ihrem herrlichen Sonnenwetter. Mein Gedankenfehler lag darin, dass jene Spiele statt im September bereits Ende Februar veranstaltet worden seien. Also planten wir unsere Reise von Mitte Februar bis Anfang März 2003. Zum Glück hat sich dieser Irrtum nicht negativ ausgewirkt. Ab München flogen wir mit Emirates nach Dubai, um hier einen so genannten Stopover einzulegen. Zum ersten Mal in unserem Leben erhielten wir eine Ahnung von Tausendundeiner Nacht. Das einst kleine primitive Fischerdorf hatte sich wie andere Orte bzw. Emirate durch das Öl derart entwickelt, dass der Tourist sich schon genau umschauen musste, wollte er Spuren der jüngsten Vergangenheit entdecken. Zu diesen gehört auch die Goldstraße in Alt-Dubai. Mehr als 200 Läden boten seinerzeit Goldwaren an; da sie von einer Art Produktionsgenossenschaft nach stets gleichem Muster hergestellt wurden, stumpfte unser anfängliches Interesse relativ schnell ab. Das war so, als wäre man in einer Straße, in der nur Bäckereien ihr einheitliches Sortiment Torten anbieten würden. Resultat unserer Überfütterung – ein Verzicht auf jedwedes Gold …

Die Supermärkte für Waren aller Art erwiesen sich als Konsumtempel, zumal der Kurs des Dirham zum Euro wohl bewusst niedrig gehalten wird, um etwaigen Käufern die Entscheidungen zu erleichtern. Vor allem Schmuck, Schweizer Uhren und textile Markenware waren durch diesen Geschäftstrick sehr gefragt.

Nach diesem Stopover brachte Emirates uns über einen kurzen Zwischenstopp in Singapur nach Sydney. Da es vormittags war, hatten wir genügend Zeit, unseren Mietwagen zu übernehmen und die Herbergseltern aufzusuchen. Die älteren Eheleute waren erfahrene Gastgeber. Sie sparten nicht mit Tipps. So verlebten wir knapp zwei Wochen in und um Sydney. Dazu gehörten Abstecher in die Blue Mountains, zu herrlichen Seebädern am Pazifik und in verschiedene Museen. Kreuzungspunkt war stets der Zentrale Fährhafen, jeden Tag quasi Ehrenrunden um den einmaligen Opernbau im Hafen Sydneys! Und über uns auf der Harbour Bridge bekämpften Unentwegte in über 130 Metern Höhe ihre Angst oder Übelkeit …

Es blieb nicht aus, dass wir auch im Hafen faulenzten, mit offenen Mündern ein riesiges Kreuzfahrtschiff beim Navigieren beobachteten oder einen Nachbau der Bounty bestaunten, der seinen Dienst als Vergnügungskahn anbot. Auch die unbeschwerte Art der Aussis im Umgang miteinander war auffällig: ob Schwarz mit Weiß oder Weiß mit Gelb oder Gelb mit Schwarz – neugierige aufdringliche Blicke wie zu Hause leider üblich, sahen wir nie.

Das Zusammenleben verschiedener Rassen bzw. Völkerschaften funktionierte nach unserem Augenschein ebenso bei unserem zweiten Stopover in Singapur. Eine Fünfmillionenstadt wie sie wohl in ihrer Sauberkeit und Ordnung einzig auf unserem Planeten existiert. Wer in der 2,2 km langen Orchad Road shoppen will, kann es bei über 5.000 Markenartikeln nach Herzenslust tun. Steht doch der Singapur Dollar wie der Australische Dollar günstig zu unserem Euro.

Ein riesiger Freizeitpark auf der Insel Sentosa lässt an Vergnügungen keine Wünsche offen. Klarkommen muss man allerdings mit dem feuchtwarmen Klima – der beeindruckende Botanische Garten Singapurs ist Beweis genug.

Unsere Tour fand über Dubai und München ihren Abschluss. In Berlin war es wie erwartet nasskalt. Gegen solche Unwirtlichkeit half nur, sich der schönen Stunden unserer Reise zu erinnern.“ Hier ein kurzer Auszug aus dem Amerika-Reisebericht:

San Francisco and so on

Jedermann sollte in zwei Städte verliebt sein – in seine Heimatstadt und in San Francisco

Ein Statement von Gene Fowler. Aber um noch einmal auf jenen Abschiedskaffee zurückzukommen – zu der Zeit wusste ich über San Francisco und Umgebung wohl sehr viel mehr als der ansonsten weit gereiste Captain: Ich konnte Harald sogar einen Reiseführer schenken für San Fran oder The City – ganz nach Belieben. Aber sage keiner Frisco – diese deutsche Namensgebung mögen die meisten hier nicht. Obwohl niemand leugnen will, dass in ihrer Stadt ähnlich wie in jenem Musical In Frisco ist der Teufel los selbiger auch los sein kann. San Francisco nebst Castro-Viertel gilt auch als Synonym für die Schwulenhauptstadt der Welt. Zentrum der sogenannten Flower-Power war diese Stadt ja auch.

Woher ein ehemals mauergeschützter DDR-Bürger das alles kennt? Apropos Mauer: Ich muss oft daran denken, dass ich mich bei der Grenzkontrolle in die Rückenlehne vom Beifahrersitz gepresst habe, damit keiner der griesgrämigen Zöllner auf die Idee kam, meine Hosenträger unter dem Pullover seien eher eine Art Gummi-Spinne für geschmuggeltes Gut: Zeitschriften, Bücher oder Kataloge. Alles Quellen, die ich zum Schreiben benötigte. Und jedes Mal stellte meine Frau in ihrer Angst lauthals den letzten Teil jener typischen Grenzer-Frage empört in Abrede: nein, nein – mein Mann und ich – wir führen doch keine Waffen mit! Wer nie westwärts fahren durfte, weil Genossen in Uniform seine Reise-Anträge in volkspolizeilichen Amtsstuben mehr oder weniger rüde abschmetterten, wird im Nachhinein schon gar nicht über solche Situationen lachen können …

Aber wieder nach San Francisco zurück: Ende der achtziger Jahre war ein mit meinem Freund und Kollegen Hans Bräunlich unter dem Pseudonym John U. Brownman geschriebener Krimi für etwa vierzehnjährige Leser im Kinderbuchverlag Berlin erschienen; der hieß Tödliche Jagd – und Handlungsort ist jene Stadt mit der weltberühmten Golden Gate Bridge. Ich übertreibe nicht – es gab damals Monate, da hatte ich – wohl besser als ein Handelsreisender von der amerikanischen Ostküste – den Plan der Stadt San Francisco in meinem Kopf gespeichert. Nicht zu vergessen nahegelegene Orte wie Sausalito oder Napa oder Sonoma. Und das Valley of the Moon mit Glen Ellen und einem mehr als bescheidenen Grab des Selbstmörders Jack London auf seiner Ranch. Also – Tödliche Jagd war bereits gut verkauft und ein Krimi mit Big Apple New York als lokaler Hintergrund erschienen – Schnee für Miami als drittes von zehn konzipierten Bänden kam aus der Druckerei zurück. Nichts mehr über Big Orange Miami. Licht aus und Feierabend – der Staat DDR nebst seinen kulturpolitischen Institutionen ging oder wurde in den Konkurs gegangen …

Captain Harald schickt uns nun aus San Francisco per Fax Verhaltensmaßregeln und das von Governor Pete Wilson gesiegelte und gebührenpflichtige Formular wegen der Sonderrechte für eine Disabled Person. Jetzt wissen Dörte und ich – das Unternehmen HAPPY ROLLIDAY ist angeschoben. In der Folgezeit kommen ungewohnt schnelle und gute Telefonverbindungen zwischen San Francisco und Berlin zustande, in denen es bereits um einen Termin für unsere Reise geht. Mittlerweile außerordentlich landeskundig, schlägt Harald die zweite Hälfte April vor. Des Wetters wegen und weil er dann für vierzehn Tage seinem kräftezehrenden Job als Manager Marine Operations für ein deutsch-asiatisches Schifffahrtskonsortium im drittgrößten Container-Hafen Oakland Adschüs sagen könne.

Dörte und ich – wir besprechen auf unserer täglich einstündigen Altglienicker Frischluft-Tour diesen Amerikatrip mit Für und Wider! Wenn meiner Frau unterwegs etwas zustößt – nicht auszudenken! Ohne Dörte kann ich mich in einen Sack stecken und ihn zubinden lassen! Oder – nur mal angenommen – meine Galle spielt unterwegs plötzlich verrückt. In den U.S.A. – ich hatte es schaudernd gelesen – da laufen Krankenhauskosten von zigtausend Dollar schnell auf. Die U.S.A. sehen und sterben?! Oder bankrottgehen? Also wenigstens muss eine Versicherung abgeschlossen werden. Eine Master Card Gold soll das übrige tun. Aber in den kleingedruckten Geltenden Geschäftsbedingungen sind Versicherungsleistungen für Leute mit hochgradiger Querschnittslähmung ausgeklammert.

Nichtsdestoweniger – Freunde und Bekannten haben recht – eine solche Chance dürfen wir nicht ungenutzt vorübergehen lassen. Also Augen zu und durch! Und fortan muss ich Angelegenheiten klären, die für einen gleichaltrigen westdeutschen Bürger selbstverständlich sind: Neue Pässe und etwas Handgeld brauchen wir. Aus Sicherheitsgründen nach Möglichkeit nur grüne Scheine á la Alexander Hamilton. Dieser Mann gehört einfach auf die Vorderseite einer Geldnote: Adjutant bei George Washington und Gründer der U.S. Nationalbank, die sinnigerweise auf der Rückseite zu besichtigen ist. Dass Hamilton 1804 nach einem Duell gestorben ist – ein Schelm, wer deswegen die Lauterkeit von Männern wie Hamilton, die ihr Leben allein wegen einer Streitigkeit aufs Spiel setzen, in Zweifel zieht. Zu ihnen zählt zweifellos Streithammel Andrew Jackson, 1828 und 1832 U.S. Präsident und Liquidator jener U.S. Nationalbank. Old Hickory starb nach einer Vielzahl Duelle friedlich im Alter von 78 Jahren.“

Hans-Ulrich Lüdemann hat auch Krimis verfasst. So erschienen im Zeitraum von zehn Jahren „Detektei Rote Socke. Stories aus der Klemm & Klau GmbH Ost“: 1999 und 2001 in der DIE-Reihe (Delikte, Indizien, Ermittlungen) des Verlags Das Neue Berlin „Janusgesichter“ und „Ein mörderischer Dreh“. 2009 brachte der BS-Verlag Rostock „Zahltag“ heraus. Zu Beginn stellt sich Detektivin selber vor: „Mein Name ist Mildred Sox, Diplom-Kriminalistin. Ich bin diejenige, die aufgrund besonderer Lebensumstände (mein Ex-Lebenskamerad war IM und hatte mich als Quelle gegen meine Genossen in der MUK missbraucht) aus dem Polizeidienst gefeuert wurde und demzufolge geradezu als Überlebensstrategie eine Privatdetektei in Potsdam gründen musste …

Niemand hatte mir in der Wiege gesungen, dass ich als illegitime Tochter einer blaublütigen Amalia von Hohenheim und dem in Deutschland stationierten GI James Fenimore Sox, später bei Nacht und Nebel in die USA verschwunden und seinerzeit millionenschwerer Eigentümer des Baseball-Teams Boston Red Sox, als diplomierte Kriminalistin in der DDR (Abschluss an der Humboldt Universität Berlin) Karriere machen sollte. Die übrigen fünfzehn Geschichten in „JANUSGESICHTER“ beschreiben in der Regel Fälle aus dem deutschen Osten wie sie mir entweder in der eigenen MUK, von früheren Genossen anderer Mord-Untersuchungs-Kommissionen oder von späteren Kollegen in verschiedenen Sokos bekannt wurden. Zumeist handelt es sich um eine Kriminalität, wie sie vor 1990 im Osten nicht vorhanden war.“ Hier der Anfang des ersten der drei Rote-Detektei-Krimis „Janusgesichter“, in dem die Heldin auch erklärt, wozu sie nicht zu gebrauchen ist:

„Die Frau stieß eine dünne Decke von sich und rollte sich von der Doppelliege. Selber nackt betrachtete sie minutenlang den unbekleideten Schläfer. Seine kaum sichtbare Männlichkeit reizte zu einem überlegenen Lächeln. Mindestens einmal im Monat trafen beide für eine Nacht mit aller Lust aufeinander. Liebes- und andere Schwüre unterblieben schon aus Gründen ihres Altersunterschiedes. Nichtsdestoweniger kamen sie nicht mehr voneinander los. Bruno war völlig unpolitisch, wenn man von solchen Sätzen wie Besser eine Rote Socke als eine braune Sau! absah. Allein wegen seines südländischen Aussehens war er von Glatzköpfen zusammengeschlagen worden. Eine Anzeige auf dem zuständigen Revier war wohl aufgrund fehlenden fremdenfeindlichen Hintergrunds, wie es die Polizei bereits routiniert formulierte, mitsamt Butterbrotpapier in einem Abfallkorb gelandet. Bruno verdankte es allein ihrer Ermittlungsarbeit, dass Anklage erhoben wurde und die Täter per Urteil ein stattliches Schmerzensgeld zahlen mussten. Der Dreißigjährige war arbeitslos und hatte, glaubte man den chaotischen Hausbesetzern im Seitenflügel, einen Sprung in der Schüssel: Werkzeugmacher von der edelsten Sorte ohne Stellung und baute aus Zündhölzern den Reichstag im korrekten Maßstab nach – so etwas ging über deren Verstand. Es waren nach Mildred Sox Meinung übrigens die gleichen Typen, die wegen der Verurteilung jener Schläger-Kameraden an ihrer Glaskastenreklame DETEKTEI MILDRED SOX immer aufs Neue die ersten vier Buchstaben im Vornamen abdeckten. Das wäre allenfalls noch zu ertragen gewesen, aber jene Typen nahmen infamerweise stets Klopapier. Als das Spielchen von einem Tag zum anderen aufhörte, sprühten Schmutzfinken ebenso auffällig an die Hauswand, dass hier eine DETEKTEI ROTE SOCKE ermittelt …

Mildred Sox schlich auf Zehenspitzen aus dem Zimmer ins Bad. In diesem sanierungsbedürftigen Haus musste die Brause etwa zehn Minuten eingeschaltet sein, um unter einem halbwegs warmen Strahl stehen zu können. Jetzt ging die Frau in den angrenzenden Raum. Dieser war mit dem neuesten Sperrmüll ausgestattet, wozu auch der bejahrte Anrufbeantworter gehörte. Nicht zu vergessen ein allen Unbefugten bislang widerstehender Panzerschrank aus der Gründerzeit für Telefon, Handy, CB-Pocket, Diktiergerät, Laptop mit integriertem Modem, Dokumente aller Art, Bubble Jet und einer Pulle GOLDKRONE. Die spartanische Einrichtung war kein Armutszeichen, eher Ausdruck ihrer Resignation nach einer Serie von Einbrüchen. Die Ersten, einhergehend mit ekelerregendem Vandalismus, hatte sie noch gezählt.

Mildred Sox schlug eine Taste mit dem Zeigefinger an und lauschte ihrer eigenen Ansage: Werter Anrufer. Sie haben die richtige Nummer gewählt. Hier ist die Detektei Mildred Sox. Sollten Sie im Sinn haben, mich mit dem Ausforschen von krankgeschriebenen Arbeitnehmern, untreuen Ehemännern oder gar der Konkurrenz zu beauftragen, so bedanke ich mich für Ihr Interesse und bitte Sie gleichzeitig, wieder aufzulegen. Allen anderen wünsche ich einen guten Tag und bin bereit, nach dem Piepton Ihr Problem anzuhören beziehungsweise mich dessen in Ihrem Sinne anzunehmen. Hinterlassen Sie, wenn möglich, Ihre Telefonnummer. Ich rufe zurück, um eventuell Ort und Zeit für ein Gespräch verabreden zu können. Danke …

Ein lautes Knacken – dann meldete sich eine Stimme, die alt und zittrig klang: „Ja, also. Hier bin ich …“

Eine kleine Pause und das darauffolgende Klicken hieß nichts anderes, als dass jemand angerufen hatte, der sich nichts weiter traute. Sollte es jedoch wichtig sein, würde sich der alte Mann wieder melden. Eine Erfahrung, die Mildred Sox bereits öfter gemacht hatte. Sie schaltete den Anrufbeantworter erneut auf Stand-by und kehrte ins Bad zurück. Der lasche Wasserstrahl aus der Dusche war schuld, dass die morgendliche Prozedur mehr Zeit als üblich verlangte. Dreißig Minuten später betrachtete Mildred Sox sich ausgiebig in einem Spiegel, der die gesamte Schmalseite des fliesenlosen Bades einnahm. Eigentlich war sie nicht unzufrieden. Die grünen Augen, trotz ihrer fünfundvierzig Lebensjahre ganz und gar nicht mütterlich dreinschauend, bildeten einen interessanten Kontrast zum widerspenstig wuscheligen Rotschopf. Passend dazu hatte Mutter Natur ihr noch die Sommersprossen des Vaters mitgegeben. Mildred Sox umgriff beide Brüste wie es in den aufklärerischen Medizin-Zeitschriften gezeigt wurde. Die Mutter war vor drei Jahren in Boston, USA, an Brustkrebs gestorben und es hieß ja allerorten, dass so etwas aus der Erbmasse kam, aber bei Früherkennung nicht als Lebensgefahr angesehen wurde. Mildred Sox hielt die Augen geschlossen und konzentrierte sich ganz auf das prüfende Abtasten. Die Gedanken wanderten zu Bruno, der als Erster mit dem Zählen der hellen Sommersprossen auf ihren Brüsten zu Ende gekommen war. Mildred Sox lächelte versonnen. Irgendwann hatte er gestanden, dass sie die erste Frau in seinem Leben sei. So gesehen war Bruno eine Naturbegabung: Unendlich zärtlich rührten die äußerst behutsamen Händen wohl von jener Reichstag-Passion her. Wenn es auch irgendwie etwas makaber anmutete, das 1933 aus politischem Kalkül von den Nazis in Brand gesetzte Gebäude ausgerechnet mit Zündhölzern nachzubauen …

Auf dem Weg zum Tresor trat Mildred Sox auf einen am Boden liegenden Schnurschalter. Es dauerte, bis der alte, noch mit Röhren für Schwarz-Weiß bestückte Fernsehapparat Bilder vom lokalen Frühstücksfernsehen zeigte. Wie vom Blitz getroffen blieb die Frau stehen. Im Halbrund mit einer Moderatorin saß selbstbewusst wie immer Rudi Schnittomeit. Hatte der Kerl es doch wieder geschafft! Filmproduzent nannte er sich also jetzt. Immerhin – er war mal auf der Filmhochschule Potsdam-Babelsberg immatrikuliert und – weil zu künstlerischen Höhenflügen nicht begabt genug, hatte er damals ein Angebot des MfS angenommen. Was Rudi dort im Einzelnen getan hatte, wusste Mildred Sox nicht. Wollte sie auch im Nachhinein nicht wissen.“

Kurz nach der Wende und dem Beitritt zum Bundesgebiet nach Artikel 23 GG setzte sich Jan Flieger in „Satans tötende Faust – Im Höllenfeuer stirbt man langsam“ in zwei Büchern mit den Folgen für die Beitreter auseinander: Jeweils in der DIE-Reihe (Delikte, Indizien, Ermittlungen) des Verlags Das Neue Berlin veröffentlichte Flieger als Nummer 188 1995 „Satans tötende Faust“ und 1997 erschien als Nummer 203 „Im Höllenfeuer stirbt man langsam“: Die vielen kleinen und großen Betrügereien, die nach der Wende im Osten geschehen, die lassen die Wut in Horst Horstmann hochkochen. Aber Horstmann ist nicht einfach nur ein Bürger, sondern Horstmann war auch ein NVA-Elitesoldat, ein Fallschirmjäger, der gelernt hat, lautlos zu töten. Seine Wut steigt und steigt und dann fasst Horstmann einen tödlichen Plan der Rache. Aus Horstmann wird „Satans tödliche Faust“.

Der tödliche Plan der Rache von Horstmann, der sich „Satans tödliche Faust“ nennt, ist erfolgreich angelaufen. Den einen oder anderen Betrüger hat er schon auf seine Weise bestraft. Aber dann legt er sich in seiner Heimatstadt Leipzig mit der Russen-Mafia an, zu der längst auch Deutsche gehören. Keine gute Situation für Horstmann, den einsamen Rächer:

2. Kapitel

Das alte Haus im Stadtteil Connewitz war nicht sonderlich gut beleuchtet, und doch konnte Horstmann jeden, der es verlassen würde, beobachten. Er saß ruhig hinter dem Lenkrad seines dunkelgrünen Passat und wartete. Warten war ihm zur Gewohnheit geworden. Warten, nur warten …

Aber Vorsicht war im Dunkeln in dieser Straße geboten, auch wenn in der nahen Kellerkneipe Boccaccio der Stammtisch Gogelmohsch tagte, das sogenannte zweite Stadtparlament – der Professor Schulter an Schulter mit dem Arbeitslosen, der Unternehmer neben dem Kabarettisten. Aber welche Straße in Leipzig war schon sicher, wenn die Nacht gekommen war, wo doch Passanten sogar am hellen Tag ausgeraubt wurden. Die Räuber sprangen aus dem Auto, schlugen zu, raubten und verschwanden ungestraft. Die Polizei, so hieß es im Volksmund, sei dieser gestiegenen Kriminalität nicht gewachsen, und so zahlten die Geschäftsleute Schutzgeld ohne zu murren, an Deutsche, an Italiener, an Russen, an Vietnamesen.

Horstmann erblickte den Mann, den er erwartete. Diesen Mongolen, der gebrochen Deutsch sprach und den er schon kannte, als er noch in Leipzig stationiert war. Also würde es gelingen! Die russische Mafia lieferte prompt und auf die Minute genau. Deutsch-sowjetische Freundschaft, dachte er bitter. Nichts gegen die Russen. Sie waren verlässlicher, als er gedacht hatte. Sie waren echte Geschäftspartner. Besonders in einem Land wie Deutschland, dass seinen Bürgern eine Waffe nur mit Waffenschein gestattete und sie somit den Ganoven schutzlos auslieferte.

Der Mongole öffnete die Beifahrertür, stieg wortlos ein.

„Und?“, knurrte Horstmann.

Der Mongole nickte grinsend, wies auf den Beutel in seiner Hand, zog eine Pistole hervor und zwei Handgranaten und reichte sie ihm.

„Gut“, lobte Horstmann und prüfte die Waffe sorgfältig.

Die Hand des Mongolen glitt erneut in den Beutel. Als sie wieder sichtbar wurde, sah Horstmann zwei Packungen Patronen.

Das sind nicht viel, dachte er, aber sie reichen für den Anfang. Auch wenn es über dreißig Jahre her ist, dass ich mit einer solchen Waffe geschossen habe, man verlernt das Schießen nicht, man hat es im Blut. Wer einmal bei den Fallschirmjägern war, kann es sein Leben lang.

Wortlos zog er das Bündel Banknoten aus der Tasche seines dunkelblauen Sakkos. Ein preiswerter Kauf, dachte er, für jeden Betrüger, der es verdient hat, eine Kugel, im Höchstfall zwei. Es werden nicht viele sein, einige Auserwählte, aber die büßen für die anderen mit und schrecken sie ab.

„Danke“, sagte der Mongole. „Wenn Nachschub brauchen, ich noch da.“

„Gut“, murmelte er und klopfte dem Mongolen auf die Schulter. „Charascho.“

Der Mongole stieg aus dem Auto, winkte kurz und schlenderte zurück.

Er schob die Waffe in die Aktentasche, die auf dem Rücksitz lag. Die Unruhe der letzten Monate war einer kalten Ruhe gewichen, nun, da die Zeit des demütigenden Wartens vorbei war, endgültig. Er startete den Wagen, um nach Hause zu fahren.

Unweigerlich musste er an seinem ehemaligen Werk vorbei, diesem gewaltigen, roten Backsteingebäude, in dem er zwanzig Jahre lang als Schlosser gearbeitet hatte. Gewöhnlich vermied er es, an dem Gebäude vorbeizufahren.

„Sauhund“, fluchte er, weil er an Leusing dachte, den Mann mit dem abweisenden Gesicht und den kalten Augen, den Ingenieur Leusing, Leiter des Betriebes, einst strammer Genosse vor der Wende. Systematisch hatte er als neuer Chef die Belegschaft verkleinert, einen nach dem anderen entlassen, hatte begonnen mit den Alkoholikern, dann mit den Demonstranten der friedlichen Revolution weitergemacht.

Leusing!

Nun munkelten die im Werk Verbliebenen, er würde es bewusst ruinieren, im Auftrag eines Konzerns, der es zu einem Spottpreis kaufen wollte.

Dieser verfluchte Leusing!

Unwillkürlich dachte er wieder an das Gespräch auf einem Flur des Verwaltungsgebäudes, ein zufälliges Zusammentreffen am Tag seiner Entlassung. Wütend hatte er Leusing angefahren.

„Sie entlassen Leute über fünfzig und ohne Abfindung, Herr Leusing. Glauben Sie, wir finden wieder Arbeit?“

Leusing war überrascht stehen geblieben.

„Wir müssen den Betrieb zur rentablen Arbeit führen. Da brauchen wir nur noch fünfzig Prozent der Leute. Wir müssen einfach die ehemaligen illegalen Arbeitslosen entlassen. Sie haben doch dafür demonstriert. Oder?“

„Und Sie werfen die Alten auf die Straße?“

„Nicht nur die Älteren.“

„Ah ja, Sie behalten nur die Dynamischen?“

Leusing nickte. „Tue ich es nicht, überlebt das Werk wohl kaum. Dann sitzen alle auf der Straße, Herr …“

„Horstmann.“

Leusing räusperte sich. „Ich muss das gesamte Unternehmen sehen, Herr Horstmann, und nicht den einzelnen.“

„Das Einzelschicksal interessiert Sie nicht?“

„Nein, Herr Horstmann. Es darf mich nicht interessieren. Glauben Sie mir.“

„Sie haben einmal anders geredet, Herr Leusing! Nun ist der einzelne für Sie eine Laus.“

„Das Gespräch führt zu nichts“, wich Leusing aus. „Später werden Sie einmal begreifen, dass man es so tun muss. Jetzt sehen Sie nur Ihr persönliches Schicksal. Das macht Sie blind. Sie müssen sich eine neue Aufgabe suchen, Herr Horstmann.“

„Wenn man fünfzig wird, Herr Leusing?“

Leusing blickte betont auf die Uhr. „Sie müssen mich entschuldigen, Herr Horstmann, aber ich muss weiter.“

Und Leusing war mit raschen Schritten davongeeilt, ging zur Tagesordnung über, und die unerfreuliche Begegnung mit dem Aufsässigen legte er offensichtlich bereits zu den gedanklichen Akten. Leusing plagten andere Sorgen.

Leusing wird nun sterben, dachte er. Jetzt! Durch mich! Er ist einer von denen, die uns nun mit kalter Sachlichkeit regieren. Ich werde für ihn zum tödlichen Stolperstein.

Er bog nach rechts ab. Ein roter Ford raste in wilder Fahrt an ihm vorbei, so nahe, dass er befürchten musste, gestreift zu werden. Ein Tollwütiger, dachte Horstmann, der sein Selbstwertgefühl hinter dem Lenkrad zu steigern versucht und der vielleicht bald an den Raten für das Auto zerbrechen wird.

Zehn Minuten später betrat er seine Wohnung.“

Und mehr soll an dieser Stelle nicht verraten werden. Schließlich macht nur Selber-Lesen Vergnügen. Genau in diesem Sinne viel Vergnügen beim Lesen und beim Überprüfen der ganz persönlichen Wende-und-Nach-Wende-Erfahrungen, weiter einen schönen Herbst“, bleiben Sie weiter gesund und vorsichtig und bis demnächst – dann geht es unter anderem um Pauline und ihre Patchwork-Familie, um die Milchstraße und um den Schweriner Schlossgeist Petermännchen. Wenn das kein Angebot ist …

Ach und noch eines. Höchst spannend wäre es zu erfahren, was Alexander Hamilton, einer der Gründerväter der Vereinigten Staaten und deren erster Finanzminister, zum Ausgang des diesjährigen Präsidentenwahlen sagen würde. Schließlich kannte er sich mit Duellen und deren mitunter tödlichem Ausgang aus. In seinem ganz persönlichen Fall geschah das vor nunmehr 216 Jahren, am Morgen des 11. Juli 1804. Da war er wahrscheinlich gerademal 47 oder 49 Jahre alt. Aber noch eine Spur aktueller ist angesichts der Vorgänge in den USA eine von Hamilton verfasste Serie von Essays, die „Federalist Papers“, in denen er sich als entschiedener Anwalt der Demokratie erweist. Seine Spezialgebote waren die Themenbereiche Exekutive, Judikative, Militär und Steuern.

Über die EDITION digital Pekrul & Sohn GbR

EDITION digital war vor 26 Jahren ursprünglich als Verlag für elektronische Publikationen gegründet worden. Inzwischen gibt der Verlag Krimis, historische Romane, Fantasy, Zeitzeugenberichte und Sachbücher (NVA-, DDR-Geschichte) sowie Kinderbücher gedruckt und als E-Book heraus. Ein weiterer Schwerpunkt sind Grafiken und Beschreibungen von historischen Handwerks- und Berufszeichen sowie Belletristik und Sachbücher über Mecklenburg-Vorpommern. Bücher ehemaliger DDR-Autoren werden als E-Book neu aufgelegt. Insgesamt umfasst das Verlagsangebot, das unter www.edition-digital.de nachzulesen ist, mehr als 1.000 Titel. Alle Bücher werden klimaneutral gedruckt.

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