„Umweltfaktoren können die Migration antreiben, aber das Ausmaß der Auswirkungen hängt von den besonderen wirtschaftlichen und soziopolitischen Bedingungen in den jeweiligen Ländern ab“, sagt Hauptautor Roman Hoffmann vom PIK und dem Wiener Institut für Demographie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. „Sowohl in Ländern mit niedrigem als auch in Ländern mit hohem Einkommen sind die Auswirkungen der Umwelt auf die Migration schwächer – vermutlich, weil die Menschen entweder zu arm sind, um wegzugehen – also quasi gefangen sind –, oder weil sie in reichen Ländern über genügend finanzielle Mittel verfügen, um die Folgen abzufedern. Deshalb sehen wir vor allem in Regionen mit mittleren Einkommen und einer Abhängigkeit von der Landwirtschaft starke Auswirkungen.“
Was zählt ist der Kontext
Die Metastudie, in der 30 Studien zum Thema analysiert wurden, offenbart eine Reihe faszinierender Muster. Sie zeigt zum Beispiel, dass die Auswirkungen auf die Migration je nach Art der Umweltgefahren unterschiedlich sind, und dass sich verschiedene Gefahren gegenseitig verstärken können. „Während Temperaturänderungen den stärksten Einfluss auf die Migration haben, können auch rasch einsetzende Naturkatastrophen und sich verändernde Niederschlagsvariabilität und Anomalien eine Rolle spielen. Besonders Kleinbauern sind auf stabile klimatische Bedingungen angewiesen und leiden unter Veränderungen und Schocks, da sie nicht über ausreichende Anpassungskapazitäten verfügen“, sagt Ko-Autorin Raya Muttarak vom International Institute for Applied Systems Analysis und dem Wittgenstein Centre for Demography and Global Human Capital (IIASA, VID/ÖAW, University of Vienna).
Die Forscher betonen, dass es dabei keinen Automatismus gibt – umweltbedingte Migration hängt immer von einer Reihe wirtschaftlicher und soziopolitischer Faktoren ab. Das Bild von Klimaflüchtlingen, die nach Europa oder in die USA drängen, ist häufig zu simpel. So fanden die Forscher zum Beispiel deutliche Belege dafür, dass Umweltveränderungen in gefährdeten Ländern überwiegend zu Migration innerhalb dieser Länder führen, oder zu Wanderungsbewegungen in andere Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen – und nicht zu grenzüberschreitender Migration in Länder mit hohem Einkommen. Betroffene Bevölkerungsgruppen wandern oft an Orte innerhalb ihrer eigenen Region aus und kehren nach relativ kurzer Zeit wieder in ihre Heimat zurück.
Künftige Migrations-Hotspots
Die Ergebnisse, die in der neuesten Ausgabe von Nature Climate Change veröffentlicht wurden, weisen auch auf Regionen hin, die für den Klimawandel besonders anfällig sind, und in denen die Umweltmigration künftig besonders stark ausgeprägt sein könnte. „Unsere Untersuchung zeigt, dass die Bevölkerungen in Lateinamerika und der Karibik, in mehreren Ländern Afrikas südlich der Sahara, insbesondere in der Sahelzone und in Ostafrika, sowie in West-, Süd- und Südostasien besonders gefährdet sind“, sagt Ko-Autorin Anna Dimitrova vom Wiener Institut für Demographie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.
Angesichts des zu erwartenden Anstiegs der globalen Durchschnittstemperatur nehmen die Forscher an, dass die umweltbedingte Migration in Zukunft an Bedeutung gewinnen wird. Folglich müssen Hilfsmaßnahmen auf die tatsächlichen Situationen vor Ort zugeschnitten sein, um das Leid der Betroffenen zu verringern. „Der beste Weg, die Menschen dieser Regionen zu schützen, ist die Stabilisierung des Weltklimas, also die rasche Reduktion des Ausstoßes von Treibhausgasen aus der Verbrennung fossiler Energieträger“, so das Fazit von Jesus Crespo Cuaresma von der Wirtschaftsuniversität Wien und IIASA. „Migration kann eine wirksame Anpassungsstrategie sein; aber meist passiert sie unfreiwillig und geht mit nicht hinnehmbarem menschlichen Leid einher – nicht hinnehmbar, weil es tatsächlich vermieden werden kann.“
Artikel: Hoffmann R, Dimitrova A, Muttarak R, Crespo Cuaresma J, & Peisker J (2020). A Meta-Analysis of Country-Level Studies on Environmental Change and Migration. Nature Climate Change. DOI: 10.1038/s41558-020-0898-6
Weblink zum Artikel: https://www.nature.com/articles/s41558-020-0898-6
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