Digitalisierung durchdringt die gesamte Arbeitswelt

Die Nachfrage nach digitalen Kompetenzen hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen, auch in Branchen und Berufsfeldern, in denen Digitalisierung bislang keine große Rolle gespielt hat. Zu diesem Ergebnis kommt eine neuartige Datenanalyse der Bertelsmann Stiftung in Zusammenarbeit mit Burning Glass Technologies, für die 26 Millionen Online-Stellenanzeigen aus Deutschland für die Jahre 2014 und 2018 ausgewertet wurden.

Die Digitalisierung kommt in der Breite der Arbeitswelt an. Von allen untersuchten Online-Stellenanzeigen ist der Anteil der Ausschreibungen, die mindestens eine digitale Kompetenz erfordern, zwischen 2014 und 2018 von 38,1 Prozent auf 47,5 Prozent gestiegen. Unterscheidet man berufliche Tätigkeiten danach, wie intensiv sie digitale Kompetenzen erfordern, so zeigt sich, dass im Jahr 2018 fast 80 Prozent der Online-Stellenanzeigen auf Berufe entfielen, für die digitale Kenntnisse und Fähigkeiten eine Grundvoraussetzung darstellen. Aufgeschlüsselt nach Qualifikationsniveaus zeigen sich dennoch erhebliche Unterschiede: Bei Stellenanzeigen für Hochqualifizierte beträgt der Anteil der beruflichen Tätigkeiten, in denen wesentliche digitale Kompetenzen gefordert sind, 94 Prozent, während derselbe Anteil in Stellenanzeigen für Jobs mit einem geringen qualifikatorischen Anforderungsprofil lediglich 62 Prozent beträgt – beispielsweise für Helfertätigkeiten in der Logistik oder der Gastronomie.

Auch zwischen den Wirtschaftszweigen werden Unterschiede deutlich. Neben der Informations- und Kommunikationsbranche ist die Digitalisierung auch bei Finanz- und Versicherungsdienstleistungen sowie bei freiberuflichen, wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen bereits weit vorangeschritten. Am anderen Ende der Skala stehen das Gastgewerbe sowie das Gesundheits- und Sozialwesen. Zu diesen Ergebnissen kommt eine Untersuchung des amerikanischen Data-Science Dienstleisters Burning Glass Technologies im Auftrag der Bertelsmann Stiftung.

Digitalisierung wächst besonders stark in bislang größtenteils analog geprägten Tätigkeiten

Besonders stark nimmt die Nachfrage nach digitalen Kompetenzen bei beruflichen Tätigkeiten zu, in denen die Digitalisierung bislang eine vergleichsweise kleine Rolle gespielt hat, wie etwa bei Service- und Verkaufskräften. Ganz oben auf der Wunschliste der Arbeitgeber stehen grundlegende digitale Fähigkeiten: So stieg zwischen 2014 und 2018 die Nachfrage danach, einen Computer bedienen zu können, um 17 Prozent. Die Nutzung von Office-Programmen wird heutzutage in Stellenanzeigen für 264 der 425 (also 62 Prozent) im Rahmen der Studie berücksichtigen beruflichen Tätigkeiten (nach EU-ESCO-Definition) erwartet. Fortgeschrittene Digitalkompetenzen werden dagegen in weit weniger Jobs verlangt – beispielsweise Programmierkenntnisse nur in 59 oder die Administration von Computersystemen nur in 24 ESCO-Berufen.

Für Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung, gibt die Analyse Hinweise auf einen tiefgreifenden Wandel der Arbeitswelt auch bereits vor der Corona Krise: „Digital am Arbeitsplatz ist heute normal. Der Umgang mit Computern ist selbstverständlich in der gesamten Arbeitswelt. Auf die wachsenden Anforderungen der Digitalisierung müssen alle Bereiche der Aus- und Weiterbildung reagieren. Hier kommt es besonders darauf an, gerade die Berufsbilder zu erreichen, in denen digitale Kompetenzen bislang eine geringe Rolle gespielt haben.“

Nachfrage nach digitalen Kompetenzen ausgeprägter in Tätigkeiten mit hohem Männeranteil

Obwohl ein grundsätzlicher Anstieg bei den Kompetenzen in den meisten Jobs zu beobachten ist, gibt es auch 2018 noch einen starken Zusammenhang zwischen sozioökonomischen Faktoren und der Nachfrage nach digitalen Kompetenzen. Jobs, die ein akademisches Profil voraussetzen und besser vergütet sind, verlangen erkennbar häufiger digitale Kompetenzen. Laut Dräger sollten Politik und Sozialpartner darauf hinwirken, dass digitale Kompetenzen auf allen Qualifikationsebenen systematisch gefördert werden. „Auch weniger qualifizierte Arbeitskräfte sollten“, so Dräger, „ihre Chancen auf eine gut bezahlte und sichere Beschäftigung mit digitalen Kompetenzen verbessern können.“

Die vorliegende Analyse zeigt zudem, dass sich die Nachfrage nach digitalen Kompetenzen unterschiedlich auf Männer und Frauen verteilt: Insbesondere in beruflichen Tätigkeiten, in denen überwiegend Männer tätig sind, werden digitale Kompetenzen verlangt. Häufig schlägt dies auch mit einem höheren Gehalt zu Buche. Anders sieht es in den USA aus. Dort sind einzelne Branchen mit hohem Beschäftigungsanteil von Frauen, beispielsweise die Gesundheitsversorgung, bereits deutlich stärker digitalisiert als hierzulande. Dräger kommentiert: „Digitalisierung kann ein Treiber für soziale Ungleichheit sein. Dagegen müssen wir uns mit gezielter Weiterbildung politisch stemmen.“ 

Zusatzinformationen

Die Studie „Digitalization in the German Labor Market – Analyzing Demand for Digital Skills in Job Vacancies“ basiert auf der Auswertung von 26 Millionen Online-Stellenanzeigen von öffentlichen und privaten Job-Portalen in Deutschland. Das private U.S.-amerikanische Analyseunternehmen Burning Glass Technologies hat mit Hilfe von modernen Verfahren wie natürlicher Sprachverarbeitung, Big Data-Verfahren und Machine Learning den Inhalt der Stellenanzeigen extrahiert und auf Basis bestehender Taxonomien wie der European Standard Classification of Occupations (ESCO) und der Klassifikation der Berufe (KldB) analysiert. Dabei wurde die bestehende Definition von digitalen Kompetenzen im Rahmen von ESCO verwendet, die mit weiteren Informationen der Software-Entwicklungsplattform Stackoverflow.com angereichert wurde. Auf dieser Basis wurde ein Index entwickelt, der den Digitalisierungsgrad für unterschiedliche Berufsgruppen abbildet. Mit diesem für Deutschland noch jungen Ansatz kann die Nachfrage der Arbeitgeber nach digitalen Kompetenzen feingliedriger und näher am aktuellen Bedarf untersucht werden als mit traditionellen Datenquellen. Neben Berufsgruppen wurden Auswertungen für Branchen und Regionen sowie im Zusammenspiel mit weiteren Datenquellen für Bildungsniveau, Verdienste und Geschlechterunterschiede vorgenommen. Ausführliche methodische Hinweise finden sich in der Studie.

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