Gabriel Felbermayr, Präsident Institut für Weltwirtschaft Kiel (IfW Kiel):
„Mit dem erfolgreichen Abschluss des Gipfels sendet die EU ein Signal der Handlungsfähigkeit. Das ist in der Krise psychologisch wichtig. Ein Auseinanderdriften Europas hätte die Dynamik des kommenden Aufschwungs geschwächt.
Es handelt sich um einen historischen Paradigmenwechsel. Die „sparsamen Vier“ konnten nicht verhindern, dass die EU erstmals Schulden aufnimmt und Zuwendungen ohne strenge Auflagen in Höhe von 390 Milliarden Euro auszahlt – immerhin so viel wie das gesamte Bruttoinlandsprodukt Österreichs. Es geht ganz klar in Richtung Fiskalkompetenz der EU. Dieser Schritt wäre mit dem Vereinigten Königreich undenkbar gewesen.
Eine Stabilisierung der Konjunktur geht von dem Programm nicht aus. Dafür kommen die Auszahlungen zu spät. Das Programm wird vermutlich prozyklisch wirken. Allenfalls erlaubt es eine Stabilisierung von Erwartungen, was den Aufschwung verstetigen dürfte. Positiv ist, dass die Zahlungen nun deutlich stärker an die Schwere der tatsächlichen Corona-Rezession geknüpft werden und nicht mehr an das Niveau der Wirtschaftsleistung vor der Krise.
Die Tilgung der Schulden wird das EU-Budget über Jahrzehnte belasten. Der Druck wird steigen, der EU neue Finanzierungsquellen zu erschließen. Für die Nettozahler, besonders für Deutschland, das im Unterschied zu den „sparsamen Vier“ keine Erhöhung seines Rabattes durchgesetzt hat, wird die EU-Mitgliedschaft teurer. Ungefähr ein Fünftel der Zuwendungen dürften von Deutschland netto finanziert werden, also knapp 80 Milliarden Euro. Es ist fraglich, ob die EU-Mitgliedschaft dadurch für Deutschland auch wirklich wertvoller wird.
Denn Projekte mit echtem europäischen Mehrwert bleiben unterfinanziert. Im Vergleich zu den ursprünglichen Plänen wurde im beschlossenen Programm vor allem bei der Forschung gekürzt. Der mehrjährige Finanzrahmen schreibt vor allem bestehende Programme fort. Eine echte strategische Weiterentwicklung fehlt. Der Schutz der gemeinsamen Außengrenzen wird weiterhin nur sehr bescheiden aus EU-Mitteln unterstützt, das Gewicht der gemeinsamen Agrarpolitik bleibt sehr hoch.
Die Genehmigung der Zahlungen und die Überwachung der Projekte sind schwach ausgeprägt. Es wird nach qualifizierter Mehrheit entschieden. Das heißt, die Nettoempfängerländer gemeinsam mit Frankreich können auch gegen den Willen Deutschlands und der anderen Nettozahler entscheiden.“
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