Nach wie vor beherrschen zwei zentrale Themen das Handeln der deutschen Versorgungswirtschaft: Die Energiewende, die zunehmend Fahrt aufnimmt, und die immer schneller voranschreitende Digitalisierung stellen Energieversorger, wie die Stadtwerke Gießen (SWG), vor echte Herausforderungen. Wie gut das Unternehmen diese meistert, zeigten Astrid Eibelshäuser, die Vorsitzende des Aufsichtsrats der SWG, sowie der technische Vorstand Matthias Funk und der kaufmännische Vorstand Jens Schmidt bei der Präsentation der aktuellen Geschäftszahlen auf der diesjährigen Bilanzpressekonferenz. 2019 erwirtschafteten die SWG rund 9 Millionen Euro Gewinn. Die Eigentümerin, die Stadt Gießen, erhält eine Ausschüttung in Höhe von 2,5 Millionen Euro. „Das an sich schon gute Ergebnis hat noch einen besonderen Aspekt. Denn von jedem Euro, den die SWG einnehmen, bleiben 29 Cent in der Region“, erklärt Astrid Eibelshäuser. „Diese Tatsache unterstreicht die gute Arbeit der Stadtwerke.“
Neben den durch den anhaltenden Bauboom induzierten Vertriebserfolgen – speziell außerhalb des angestammten Versorgungsgebiets – lässt sich die Gewinnsteigerung nicht nur auf optimierte interne Prozesse zurückführen, sondern im Wesentlichen auch auf Sondereffekte wie zum Beispiel Erträge aus einer EEG-Nachzahlung von 2018 und dem Verkauf von Beteiligungen. „Wir haben uns in den vergangenen Jahren sehr genau mit unserer eigenen Effizienz beschäftigt und hier vieles spürbar verbessert. Jetzt ernten wir die Früchte dieser Arbeit“, fasst Jens Schmidt zusammen.
Vor dem Hintergrund der Corona-Krise kommt das überaus positive Unternehmensergebnis gerade recht. Denn noch kann niemand seriös abschätzen, welche wirtschaftlichen Konsequenzen aus der Pandemie erwachsen – weder landesweit noch auf die SWG beschränkt. „Wir sind wirklich froh, dass wir für die kommenden Monate und Jahre entsprechende Rücklagen aufbauen konnten“, bringt es Jens Schmidt auf den Punkt.
Runde Jubiläen und wichtige Meilensteine
2019 standen bei den SWG zwei runde Jubiläen an: Sowohl der öffentliche Personennahverkehr als auch das Wasserwerk in Queckborn feierten ihr 125-jähriges Bestehen. Beide Feierlichkeiten wurden rege besucht und kamen bei Kundinnen und Kunden gut an. Viel Wissenswertes wurde bei den Besuchen in der Buswerkstatt und der Besichtigung des Wasserwerkes vermittelt.
Selbstverständlich haben die SWG auch 2019 viel unternommen, was auf Nachhaltigkeit und einen effizienten Umgang mit Energie einzahlt. So fahren alle Busse der SWG-Tochter MIT.BUS seit März 2019 mit Bioerdgas – also nahezu CO2-neutral. „Wir haben schon vor Jahren damit begonnen, die Flotte nach und nach auf Erdgasantrieb umzustellen. Die Entscheidung, mit dem Austausch der letzten drei Dieselfahrzeuge auf Bioerdgas als Treibstoff umzusteigen, war da nur konsequent“, findet Matthias Funk.
Einen vergleichbaren Weg haben die SWG auch in Sachen Wärmeerzeugung eingeschlagen und 2019 mit der Einweihung der TREA 2 einen wichtigen Schritt zurückgelegt. Wie in der bereits viele Jahre erfolgreich betriebenen TREA 1 dient auch in der neuen Anlage hochkalorischer Abfall als Brennstoff. Die entscheidende Weiterentwicklung der TREA 2 liegt darin, dass sie nicht nur Wärme, sondern auch Strom erzeugt. Denn die SWG-Ingenieure haben in diesem weltweit wohl einzigartigen System eine Abfallverbrennung mit effizienten Blockheizkraftwerken kombiniert. „Das sorgt nicht nur für eine bessere Ausnutzung der eingesetzten Primärenergie, sondern macht die TREA 2 zudem extrem flexibel“, freut sich Matthias Funk.
51 E-Autos für die Region
Auf dem Gebiet der E-Mobilität haben die SWG 2019 ebenfalls einiges vorangebracht. Allerdings dreht sich die Produktwelt E-Revolution ganz bewusst nicht nur um eben dieses Thema. „Wer E-Fahrzeugen zum Durchbruch verhelfen möchte, muss aus unserer Sicht das Laden immer gleich mitdenken“, erklärt Ina Weller, Unternehmenssprecherin der Stadtwerke, die Idee hinter der E-Revolution. Folgerichtig umfasst das Angebot nicht nur ein E-Auto zu konkurrenzlos guten Konditionen, sondern auch die Optionen, Wallboxen, Photovoltaikanlagen und Stromspeicher zu kaufen oder zu mieten. Dieser ganzheitliche Ansatz kommt bei den Kundinnen und Kunden an. Allein 2019 gelang es den SWG, 51 Smart EQ Fortwo auf die Straßen in der Region zu bringen. 2019 wurden im Regierungsbezirk Gießen 200 E-Autos zugelassen. Damit gehen 25 Prozent des Zuwachses auf das Konto der SWG. Zum Gesamtbestand von 448 Fahrzeugen im Januar 2020 haben die SWG mehr als zehn Prozent beigetragen. „Natürlich freuen wir uns über diese Zahlen. Aber auch die Nachfrage nach den anderen Modulen aus der E-Revolution zeigt uns, dass wir mit unserem Produkt genau richtig liegen“, ergänzt Matthias Funk, „und zusätzlich zur Freude über dieses Wachstum kommt die Freude, dass wir damit ganz viel zum Schutz des Klimas tun konnten.“
Schon viel passiert
Mit der COVID-19-Pandemie entwickelte sich 2020 ein alles überstrahlendes und praktisch sämtliche Lebensbereiche tangierendes Thema. Dennoch haben die SWG in den ersten Monaten dieses Jahres Entscheidendes vorangetrieben und ein großes Projekt zum Abschluss gebracht: Seit Mitte April strömt sogenanntes H-Gas durch die Erdgasleitungen. Anders als alle anderen Netzbetreiber hat die SWG-Tochter Mittelhessen Netz dieses Projekt in Eigenregie gestemmt, statt die vom Bundesverband organisierten, bundesweit agierenden Handwerkerteams zu engagieren. „Ein enormer Aufwand, aber letztendlich war die Entscheidung genau richtig“, ist Matthias Funk überzeugt. Und sein Kollege Jens Schmidt ergänzt: „Weil wir mit hier ansässigen Fachbetrieben zusammengearbeitet haben, konnten wir große Teile der Wertschöpfung in der Region halten.“
Bei einem logistisch derart komplexen und so umfangreichen Projekt – es galt, rund 35.000 Erdgasgeräte auf den höheren Brennwert anzupassen – lassen sich kleinere Probleme naturgemäß nicht vollständig ausschließen. Aber auch in dieser Hinsicht überzeugte das Vorgehen der SWG. Denn die Projektleitung im eigenen Haus hielt die Informationswege kurz und sorgte üblicherweise schnell für eine Lösung.
Auch die Kooperation mit Hochschulen lief 2020 weiter. Aktuell erforschen Wissenschaftler der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM), ob und wie sich energieautarke Quartiere bauen lassen. Auf dem ehemaligen Motorpoolgelände entsteht das „Flexquartier“, in dem zwei verschiedene Stromspeichertechniken zum Einsatz kommen. Die SWG sorgen mit ihrem Know-how dafür, diese beiden zentralen Komponenten einzubinden. Im Fall des Hochtemperaturspeichers bedeutet dies, dass nicht nur Stromanschlüsse nötig sind. „Einen Teil der eingelagerten Energie gewinnen wir als Wärme zurück“, erklärt Matthias Funk. Und genau für diese Wärme braucht es ein Netz, über das sie in die verschiedenen Wohnungen im neuen Quartier gelangt. „Im Grunde ist es das Ziel der Studie, herauszufinden, wie sich innovative Technik aus der Forschung in die Praxis übertragen lässt“, führt Matthias Funk weiter aus.
Die Basis für Energiewende
Die SWG-Tochter smartSTADTwerke arbeitet 2020 unter Hochdruck an zwei zentralen Projekten: In diesem Jahr beginnt der Rollout sogenannter Smartmeter. Diese intelligenten Zähler sind essenzieller Baustein für die Energiewende. Denn erst sie ermöglichen es, Erzeugung und Verbrauch besser aufeinander abzustimmen und so die witterungsbedingte Volatilität der Stromproduktion mit Wind und Sonne entscheidend abzumildern. Im zweiten Projekt geht es um das Thema E-Mobilität. Hier beschäftigen sich die Experten mit der Entwicklung eines Ladeverbunds. „Unter dem Dach der smartSTADTwerke kooperieren inzwischen neun regionale Energieversorger. Die Einführung der intelligenten Zähler und des Ladeverbunds für E-Autos sind ideale Beispiele dafür, wie sich Unternehmen gemeinsam komplexer Themen annehmen, dabei Synergien heben und so Kosten reduzieren“, erklärt Jens Schmidt.
Harte Fakten für bessere Entscheidungen
Ein weiteres Forschungsprojekt, für das die SWG sogar Fördergeld vom Bund erhalten, soll das Nahverkehrsangebot deutlich verbessern: Die SWG und die MIT.BUS tüfteln an einem System, das die Fahrgastzahlen in den Bussen in Echtzeit visualisiert und mit vielen anderen wichtigen Parametern in Verbindung bringt. Damit wird es schon bald möglich sein, Fahrpläne zu optimieren – sowohl was den Komfort als auch die Wirtschaftlichkeit angeht. Denn wer genau weiß, wann wie viele Personen einen bestimmten Bus nutzen, kann ein exakt dafür passendes Fahrplanangebot entwickeln. „Genau das möchten wir erreichen“, begründet Matthias Funk das Engagement. Weil schon viele Sensoren wichtige Daten liefern, profitierten die Verkehrsplaner von SWG und MIT.BUS bereits von der ersten Big-Data-Anwendung im Stadtwerke-Konzern. Denn als coronabedingt die Fahrgastzahlen Mitte März rapide sanken, konnten die Verantwortlichen auf Basis harter Fakten die richtigen Entscheidungen treffen.
Stichwort Corona
Als zuverlässiger, kundennaher Energiedienstleister, Anbieter von Nahverkehr und Betreiber von Bädern waren und sind die SWG natürlich massiv von den Einflüssen des SARS-CoV-2-Virus betroffen. Doch anders als in anderen Unternehmen stand es für die SWG nie zur Diskussion, vorübergehend zu schließen. „Ein Stadtwerk muss funktionieren“, weiß Matthias Funk. „Deshalb haben wir sofort reagiert und alles unternommen, was nötig war, um die sichere Versorgung zu gewährleisten“, ergänzt Jens Schmidt. Tatsächlich ist Krisenmanagement bei den SWG Chefsache. Unter der Leitung der beiden Vorstände traf der Krisenstab zunächst täglich, später in längeren Intervallen die nötigen Entscheidungen. Als einer der ersten Maßnahmen wurde die Netzleitstelle auf zwei Standorte verteilt und die Teams voneinander getrennt. „So konnten wir das Infektionsrisiko der Mitarbeiter untereinander deutlich senken und unsere Handlungsfähigkeit sicherstellen“, begründet Jens Schmidt den Schritt. Wo immer es möglich war, zogen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ins Homeoffice um und arbeiten bis auf Weiteres von zu Hause aus. „Selbstverständlich erfüllen wir beim Arbeitsschutz den COVID-19-Standard“, sagt Matthias Funk. Das belegt ein Siegel, das im Foyer der Hauptverwaltung öffentlich aushängt.
Natürlich führte die Pandemie an bestimmten Stellen zu massiven Einschränkungen. Sie zwangen die SWG, in den betroffenen Bereichen Kurzarbeit zu beantragen. Anfangs gab es in den Bussen keine Fahrscheine mehr. Mit der Schließung der Schulen galt auch montags bis freitags der Samstagsfahrplan. Letztlich schlossen die Bäder, das Kundenzentrum am Marktplatz samt Mobilitätszentrale und wenig später auch die Anlaufstelle für Kunden in der Lahnstraße. Zudem sagten die Stadtwerke alle geplanten Veranstaltungen ab – etwa den SWG-Pokal. „Wir möchten uns an dieser Stelle ausdrücklich bei allen Kundinnen und Kunden bedanken. Für ihr Verständnis und für ihr umsichtiges Verhalten“, erklärt Jens Schmidt.
Blick nach vorn
Deutlich schwerer als in den Jahren zuvor fiel es den beiden Vorständen, konkrete Zukunftspläne vorzustellen. Nicht, weil es keine gäbe, sondern weil Corona noch lange nachwirken wird. Und was das wirtschaftlich für die Stadtwerke Gießen bedeutet, dürfte sich frühestens im Herbst abzeichnen. Fakt ist: Wie viele andere Energieversorger bleiben die SWG auf bereits bestellten Mengen sitzen, weil Industrie und Gewerbe wegen des Lockdowns nicht wie prognostiziert Strom und Erdgas abnahmen. Dazu kommen Einnahmeausfälle im Nahverkehr und bei den Bädern.
Trotz all dieser Unwägbarkeiten halten die Stadtwerke Gießen Kurs. Es gilt, die SWG konsequent weiterzuentwickeln, Strukturen und Prozesse zu verbessern, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weiterzubilden und den Klimaschutz mithilfe von Effizienzsteigerungen und innovativen Technologien voranzutreiben. Jens Schmidt formuliert es so: „Das Unternehmen ist grundsolide aufgestellt. Nicht nur wirtschaftlich betrachtet, sondern auch, was die Kompetenz und die Erfahrung der Belegschaft betrifft. Wir gehen fest davon aus, dass die SWG gut aus der Krise kommen und wieder vergleichsweise schnell mit der gewohnten Schlagkraft auf dem Energiemarkt, im Nahverkehr und in den Bädern agieren.“
Abschließend bedankte sich Matthias Funk im Namen des Vorstandes für die überaus engagierte und verantwortungsbewusste Mitarbeit in der vergangenen Zeit. Beide zeigten sich überzeugt, dass die SWG-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das Fundament für eine erfolgreiche Zukunft des Unternehmens bilden.
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