Für Erwin Schöpges, belgischer Milchproduzent und Vorsitzender des European Milk Board (EMB), sind die zahlreichen Protestaktionen ein wichtiges Zeichen an die Politik: „Das Magermilchpulver heute ist EU-weit das Symbol für einen fehlgeleiteten Krisenkurs der Europäischen Union im Milchsektor. Dieser Kurs muss geändert werden, so dass er gegen die Krise wirklich greifen kann“, so Schöpges.
Im Zuge der Coronakrise ist die Nachfrage nach Milchprodukten eingebrochen. Wie EMB-Vorstandsmitglied Roberto Cavaliere aus Italien erläutert, hat die Schließung von Schulen, Kindergärten und öffentlichen Einrichtungen sowie das fast komplette Herunterfahren des Gastronomiesektors die Abnahme von Milchprodukten stark verringert. „Die Milch, die produziert wird, ist aktuell also viel zu viel und müsste EU-weit reduziert werden. Wir Milcherzeuger sind bereit, hier Verantwortung zu übernehmen und an einem von der EU-Kommission koordinierten Programm zur Mengenreduktion teilzunehmen“, so Cavaliere. Doch das hat die EU-Politik nicht in Aussicht gestellt. Sein Berufskollege Boris Gondouin, Milcherzeuger aus Frankreich und Vorstandsmitglied des EMB, ist daher wie so viele europäische MilcherzeugerInnen sehr verärgert, dass sich die EU-Kommission stattdessen für Beihilfen zur privaten Lagerhaltung entschieden hat. „Diese Beihilfen ändern absolut nichts an den Corona-Problemen der LandwirtInnen. Es sind ja insbesondere die Milchpreise bei den Produzenten, die fallen. Es gehen aber – wie vorläufig angekündigt – 30 Millionen Euro an Subventionen für verarbeitete Milchprodukte an die private Industrie. Das heißt, dass die aktuelle EU-Maßnahme für die verarbeitende Industrie getroffen wurde, nicht für die LandwirtInnen.“ Johannes Pfaller, Milcherzeuger aus Deutschland und EMB-Vorstandsmitglied, ergänzt: „Es ist doch eigentlich absolut abwegig, Ressourcen zu verschwenden, um Produkte zu erzeugen, für die es keine Nachfrage gibt. Nur, um diese Produkte dann mit Hilfe von Subventionen einzulagern.“
Um die Milchkrise einzudämmen:
- muss eine Krisenmaßnahme die Milchmenge direkt adressieren;
- sollte die EU mit ihren MilcherzeugerInnen gemeinsam Verantwortung übernehmen. Es müsste ein Programm gestartet werden, auf das in jedem EU-Land zugegriffen werden kann. Milcherzeuger, die bereit sind, ihre Produktionsmenge zu reduzieren, bekommen über dieses EU-Programm eine Entschädigung je nicht produziertem Liter Milch*;
- dürfen in der EU keine Buttertürme und Milchpulverberge aufgebaut werden, indem man die Lagerung bereits verarbeiteter Produkte subventioniert. Eingelagerte Produkte sind immer noch Teil des existierenden Angebots und drücken die Milchpreise. Die angekündigten 30 Millionen Euro sollten daher besser in das Mengenreduktionsprogramm anstatt die private Lagerhaltung fließen;
- sollte es sich die EU erlauben, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Beihilfen zur privaten Lagerhaltung und die Erlaubnis u. a. an Erzeugerorganisationen und Branchenverbände, die Produktion regional (nicht EU-weit) zu planen, haben als Instrumente in der Krise 2015-2017 komplett versagt. Das EU-Mengenreduktionsprogramm jedoch hatte Erfolg (siehe Studie auf Englisch dazu hier).
* Details siehe auch Marktverantwortungsprogramm.
Wie der dänische Milcherzeuger und EMB-Vorstandsvertreter Kjartan Poulsen betont, ist es nicht das erste Mal, dass sich die EU in der Kiste für Kriseninstrumente vergreift. „Bereits im Jahr 2017 hatten die MilcherzeugerInnen des EMB und anderer Verbände mit einer großen Milchpulver-Aktion in Brüssel auf die Problematik des Aufbaus zu hoher Lagerbestände in der Krise aufmerksam gemacht. Unser eindringlicher Appell an die EU lautet daher, nicht auf dieses Instrument der Lagerhaltung zu setzen, sondern mit den MilcherzeugerInnen zusammen zu arbeiten und gemeinsam ein Mengenreduktionsprogramm durchzuführen“, so Poulsen.
Die heutigen europäischen Aktionen werden nicht die letzten politischen Milchpulver-Veranstaltungen sein. Zahlreiche deutsche MilchproduzentInnen haben bereits angekündigt, weitere Aktionen in den kommenden Tagen zu fahren.
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