„Unsere Daten zeigen eindeutig, dass sozial verantwortliches Verhalten eine große Rolle bei der Eindämmung des Virus spielt“, sagt Prof. Dr. Sebastian Siegloch, Leiter des ZEW-Forschungsbereichs "Soziale Sicherung und Verteilung". „Angesichts der aktuellen Lockerung der Corona-Politik sollte sich jeder immer wieder dieser Verantwortung bewusst werden.“
Die Forscherinnen und Forscher untersuchen den Zusammenhang zwischen Sozialkapital, einem gängigen Maß für gesellschaftlichen Verantwortungsbewusstsein, und Covid-19-Fallzahlen in sieben europäischen Ländern. Dabei handelt es sich um Deutschland, Italien, Österreich, die Schweiz, das Vereinigte Königreich, die Niederlande und Schweden.
Regionen mit mehr Sozialkapital können mehr Lockerungen vertragen
Die Studie weist auch auf einen wichtigen Zusammenhang zwischen Eigenverantwortung und Corona-Maßnahmen durch die Politik hin. So schwächte sich der Zusammenhang zwischen der Ausbreitung des Virus und dem Sozialkapital ab, nachdem die Länder einen Lockdown verordnet hatten. Diese Ergebnisse haben interessante Implikationen für die aktuelle Debatte zur Regionalisierung der Corona-Politik. „Unsere Ergebnisse legen nahe, dass Regionen mit einem höheren gesellschaftlichen Verantwortungsbewusstsein mehr Lockerungen vertragen könnten. In Gegenden, wo das Sozialkapital eher niedrig ist, sollte die Politik das alltägliche Leben stärker einschränken“, so Studienautor Sebastian Siegloch.
Ohne medizinische Antworten auf Covid-19 in Form von Medikamenten oder Impfungen spielt Sozialkapital eine entscheidende Rolle. Seit Beginn der Krise appelliert die Politik an das Verantwortungsbewusstsein der Bürgerinnen und Bürger, sich an Verhaltens- und Hygieneregeln, zu halten, Kontakte zu reduzieren, Abstand zu halten und Masken zu tragen, um die Ausbreitung von Covid-19 zu stoppen. All diese Regeln bedeuten Einschränkungen und Unannehmlichkeiten für den Einzelnen. Ob der Einzelne die Regeln befolgt, hängt vom eigenen Sozialkapital ab. Ein in den Sozialwissenschaften gängiges Maß für Sozialkapital ist die Wahlbeteiligung, da die eigene Stimme das Wahlergebnis nicht beeinflusst, die Menschen aber aus staatsbürgerlichem Verantwortungsgefühl wählen gehen. Demnach gelten Regionen mit niedriger Wahlbeteiligung als Regionen mit niedrigem Sozialkapital. Dieser Zusammenhang ist auch mit alternativen Maßen für das Sozialkapital belegt, wie Blut- oder Organspenden oder ehrenamtliches Engagement.
Regionen mit höherem Sozialkapital verzeichnen geringere Zahlen an Todesopfern
Mithilfe von ökonometrischen Modellen setzen die Studienautoren in jedem der sieben Länder das Sozialkapital auf Landkreis- (oder vergleichbarer) Ebene mit der Anzahl an Covid-19-Fällen in Verbindung. Durch statistische Methoden machen die Autoreninnen und Autoren alle Landkreise in einem Land vergleichbar hinsichtlich der wichtigsten ökonomischen und sozialen Faktoren, wie Bruttoinlandsprodukt, Bevölkerung, Wirtschaftssektoren sowie der medizinischen Infrastruktur.
Neben der Analyse der Fallzahlen in sieben europäischen Ländern beleuchten die beteiligten Forscherinnen und Forscher den italienischen Fall näher. Zum einen zeigen sie, dass Sozialkapital auch die Zahl der Todesopfer beeinflusst. „Regionen mit höherem Sozialkapital verzeichnen geringere Zahlen an Todesopfern“, sagt Sebastian Siegloch. Zum anderen dokumentieren sie, dass Sozialkapital tatsächlich individuelles Verhalten beeinflusst. Mit anonymisierten Standort-Daten von Mobiltelefonen zeigt die Studie, dass Italiener in Regionen mit hohem Sozialkapital ihre Mobilität stärker eingeschränkt haben als Landsleute in Gegenden mit niedrigerem Sozialkapital.
Das ZEW in Mannheim forscht im Bereich der angewandten und politikorientierten Wirtschaftswissenschaften und stellt der nationalen und internationalen Forschung bedeutende Datensätze zur Verfügung. Das Institut unterstützt durch fundierte Beratung Politik, Unternehmen und Verwaltung auf nationaler und europäischer Ebene bei der Bewältigung wirtschaftspolitischer Herausforderungen. Zentrale Forschungsfrage des ZEW ist, wie Märkte und Institutionen gestaltet sein müssen, um eine nachhaltige und effiziente wirtschaftliche Entwicklung der wissensbasierten europäischen Volkswirtschaften zu ermöglichen. Durch gezielten Wissenstransfer und Weiterbildung begleitet das ZEW wirtschaftliche Veränderungsprozesse. Das ZEW wurde 1991 gegründet. Es ist Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Derzeit arbeiten am ZEW rund 190 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, von denen rund zwei Drittel wissenschaftlich tätig sind.
Forschungsfelder des ZEW
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