- Jeroen den Boer ist Chefingenieur für das GT3-Programm von BMW Motorsport, ehemaliger Rennfahrer und seit kurzer Zeit auch im Sim-Racing aktiv.
- Den Boer vergleicht virtuellen und realen Rennsport unter den Gesichtspunkten Set-up-Arbeit, Strategie und Realitätsnähe.
- Den Boer: „Im Simulator kann man wirklich all das einstellen, was man auch in der Realität anpassen kann“.
Schon als aktiver Rennfahrer war Jeroen den Boer (NED) in GT3-Fahrzeugen von BMW Motorsport unterwegs. Nun betreut er als Chefingenieur die Renneinsätze des BMW M6 GT3 sowie die Entwicklung des neuen BMW M4 GT3. Während der aktuellen COVID-19-Krise ist den Boer ins Cockpit zurückgekehrt – zumindest in das virtuelle. Er hat das Sim-Racing für sich entdeckt und tritt dort im BMW M8 GTE sowie im BMW Z4 GT3 regelmäßig bei Rennen an. Die Kombination aus ehemaligem Rennfahrer, BMW Motorsport Ingenieur und Sim-Racer macht ihn zum perfekten Gesprächspartner, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Sim-Racing und realem Rennsport zu analysieren.
Wenn Jeroen den Boer auf der eSports-Plattform iRacing im BMW Z4 GT3 ins Rennen geht, ist es für ihn eine Rückkehr in alte Zeiten. Denn von 2011 bis 2013 war er mit diesem Fahrzeug für das Team DB Motorsport im hochkarätig besetzten ADAC GT Masters am Start und feierte in 36 Rennen zwei Siege. Parallel studierte er Maschinenbau, und als der GT3-Rennsport für ihn und sein privates Team zu teuer wurde, schlug er die Ingenieurslaufbahn ein. „Ich habe über den GT3-Rennsport gute Kontakte geknüpft und bin so über eine Zwischenstation bei Schubert Motorsport letztlich zu BMW Motorsport gekommen“, sagt den Boer. „Dort arbeite ich seit 2014.“ Er ist in verantwortlicher Position immer dabei, wenn der BMW M6 GT3 bei den großen 24-Stunden-Rennen oder in der Intercontinental GT Challenge ins Rennen geht. Sein neuestes Projekt ist die Entwicklung des BMW M4 GT3, dem neuen Flaggschiff der BMW M Kundensport Fahrzeugpalette.
Während den Boer darauf wartet, seine realen Rennsport-Projekte wieder aufnehmen zu können, hat er das Sim-Racing für sich entdeckt. Mittlerweile hat er sein eigenes Equipment zu Hause und trifft sich unter anderem mit BMW Werksfahrern wie Philipp Eng (AUT) und Jens Klingmann (GER) zu Trainingssessions. „Ich habe mich mal zu einer Session auf der Nordschleife dazu geschaltet. Das war sehr lustig und interessant“, sagt den Boer. „Besonders für mich als Ingenieur, denn da waren dann auch Profi-Sim-Racer dabei, die auf jede meiner Fragen zum Set-up die passende Antwort hatten. Plötzlich war ich nicht mehr der Ingenieur, der Hinweise zu Einstellungen gibt, sondern es war umgekehrt. Das war zu Beginn schon eine andere Welt für mich.“ Auch Rennerfahrung hat den Boer in den vergangenen Monaten am Steuer des virtuellen BMW M8 GTE und des BMW Z4 GT3 gesammelt. Dabei war er nicht nur als Fahrer, sondern auch als Ingenieur gefragt, denn egal ob Set-up, Renntaktik oder Reifenstrategie: Bei iRacing macht man alles selbst.
Set-up-Arbeit im Simulator und in der Realität.
„Im Simulator kann man wirklich all das einstellen, was man auch in der Realität anpassen kann: Fahrwerk, Aerodynamik, Reifendrücke – alles“, erklärt den Boer. „Das Set-up ist in der Regel völlig frei, da kann man also unglaublich viele Parameter einstellen. Das ist gar nicht so einfach, und man muss wissen, was man tut.“ Den Boer weiß bei der realen Set-up-Arbeit sehr genau, was er tut. Er und sein Team beginnen in der Regel mit einer Basis-Abstimmung, die entweder aus Vorjahres-Daten oder im Fall von neuen Kursen aus Daten von vergleichbaren Strecken erstellt wird. „Dann identifizieren wir zunächst in Zusammenarbeit mit dem Fahrer die Probleme, an denen wir arbeiten müssen“, erklärt den Boer. „Übersteuern? Untersteuern? Schlecht auf der Bremse? Wir gleichen die Aussagen der Fahrer mit unseren Daten ab. Wenn die übereinstimmen, ändern wir entsprechende Einstellungen am Fahrzeug, um das Problem zu beheben. So tasten wir uns Schritt für Schritt in die richtige Richtung voran.“
Das Feedback des Fahrers zu verstehen und richtig zu interpretieren, ist eine der Kernkompetenzen eines Ingenieurs. Dabei kommt den Boer seine eigene Rennfahrer-Vergangenheit zugute. „Manchmal reichen drei Worte von ihnen und ich weiß, was sie meinen. Ich denke, ich kann mich gut in sie hineinversetzen“, sagt er. Bei der Abstimmungsarbeit im Simulator muss er das nicht tun, denn dort ist er ja selbst gleichzeitig Fahrer und Ingenieur. „Die Arbeit am Set-up geht im Simulator in meinem Fall vielleicht sogar schneller, denn ich bin selbst der Fahrer und kann mir schon am Steuer überlegen, was ich als nächstes beim Set-up ausprobieren kann“, sagt den Boer. „Ich muss nicht vorher mit einem anderen Fahrer reden und versuchen, seine Einschätzungen umzusetzen.“
Stattdessen hätte er theoretisch die Möglichkeit, seine Kenntnisse aus dem realen Rennsport zu nutzen und zum Beispiel ein echtes Basis-Set-up für die Simulation einzusetzen. „So einfach ist das nicht“, relativiert den Boer. „Ich weiß aus meiner Erfahrung zwar, an welchen Stellschrauben ich zuerst drehe, sollte ich ein Problem mit der Abstimmung haben, aber 1:1 ein reales Basis-Set-up zu verwenden, das funktioniert nicht.“
Rennstrategie und Datenanalyse nahezu identisch.
Wie beim Set-up arbeitet man auch in Sachen Rennstrategie im Simulator und in der Realität nahezu gleich, wie den Boer an einem praktischen Beispiel erklärt: „Ich bin mit einem Kollegen ein 4-Stunden-Rennen auf der Nordschleife gefahren. Taktik besprechen, Spritverbrauch ausrechnen, Reifenstrategie festlegen – das hat richtig Spaß gemacht. Wir hatten ausgerechnet, dass der Führende noch vor Ablauf der Rennzeit über die Ziellinie kommt und wir daher noch eine weitere Runde fahren müssen. Entsprechend haben wir mehr Benzin getankt und so am Ende auf der Döttinger Höhe noch einige Fahrzeuge überholt, denen der Sprit ausgegangen ist. Da kam bei mir eindeutig der Ingenieur durch.“
In Sachen Datenanalyse sind die Parallelen zwischen Sim-Racing und realem Rennsport ebenfalls verblüffend. „Man kann wie in der Realität Telemetriedaten verschiedener Fahrer übereinanderlegen und analysieren“, sagt den Boer. „Wo bremse ich zu früh oder zu spät? Wo muss ich einen anderen Gang wählen? Diese Daten sind identisch mit der Realität. Man kann sogar die gleichen Programme für die Datenanalyse nutzen. Das ist wirklich cool.“
Wenn die Realitätsnähe der Simulation so hoch ist, könnte man dann sogar auf die Idee kommen, Set-up-Ideen aus dem virtuellen ins reale Rennfahrzeug zu übernehmen? „Da muss man sehr vorsichtig sein“, sagt den Boer. „Wenn man damit falsch liegt, kann man auf der echten Rennstrecke nicht einfach neu starten und es nochmal versuchen. Dann ist das Auto kaputt.“
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