Eine Schwangerschaft übt erheblichen Einfluss auf die Schilddrüsenfunktion aus. „Das liegt unter anderem am Schwangerschaftshormon humanes Choriongonadotropin, kurz hCG“, erklärt BDN-Experte Professor Dr. med. Matthias Schmidt, Nuklearmediziner der Universität Köln. „In gewisser Weise übernimmt das hCG die Kontrolle über die mütterliche Schilddrüse“, ergänzt Professor Dr. med. Karin Frank-Raue von der Endokrinologisch-Nuklearmedizinischen Gemeinschaftspraxis in Heidelberg. So steigt die Produktion des Schilddrüsenhormons Thyroxin um etwa 50 Prozent, der Jodbedarf wächst, das Schilddrüsenvolumen nimmt zu.
Schwangerschaft ist Stresstest für die Schilddrüse
Damit wird die Schwangerschaft zu einer Art „Stresstest“ für die Schilddrüse, der das Organ vollends aus dem Gleichgewicht bringen kann, wenn es ohnehin schon angeschlagen gearbeitet hat. In der Folge können Schilddrüsenfunktionsstörungen der Mutter zum ersten Mal auftreten. Besonders häufig handelt es sich dabei um Schilddrüsenunterfunktionen, sogenannte Hypothyreosen, oft verursacht durch die Autoimmunerkrankung Hashimoto-Thyreoiditis. Eine Hypothyreose kann zu schweren geistigen und körperlichen Schäden des Fötus führen, zudem treten vermehrt Schwangerschaftskomplikationen wie Fehl- oder Frühgeburten auf. Eine Schilddrüsenunterfunktion der werdenden Mutter muss daher mit Schilddrüsenhormon-Tabletten behandelt werden, mit Levothyroxin.
Unklare Grenzwerte
Dabei war lange Zeit nicht klar, ab welchem TSH-Wert die Gabe von Schilddrüsenhormon-Tabletten eingeleitet werden muss. „Denn die Unterscheidung zwischen einer Hashimoto-Thyreoiditis im frühen Stadium und einer normalen Schilddrüse mit einem TSH-Wert im oberen Normbereich ist nicht immer ganz einfach“, erläutert Schmidt. In der Praxis hat sich ein niedriger Grenzwert von 2,5 mU/l festgesetzt. „Dies geschah aus der Sorge heraus, dass dem sich entwickelnden Kind bei im oberen Grenzbereich liegenden mütterlichen TSH-Werten von 2,5 bis 4,0 mU/l ein Schaden entstehen könnte“, ergänzt Frank-Raue.
Kein Levothyroxin mehr bei schilddrüsengesunden Schwangeren mit TSH zwischen 2,5 und 4,0 mU/l
Für diesen Bereich hat nun aufgrund neuer, großer internationaler Studien ein Umdenken stattgefunden. Die Interventionsstudien zeigen, dass bei gesunden Schwangeren mit TSH-Werten von 2,5 bis 4,0 mU/l weder Fehlgeburten noch kindliche Fehlbildungen zunehmen oder Einbußen bei den kognitiven Fähigkeiten des Ungeborenen zu befürchten sind. „Bei solchen Werten ist eine Therapie mit Levothyroxin also nicht erforderlich, sofern die Schilddrüse der Mutter gesund ist“, stellt Frank-Raue fest. Dies gelte in gleicher Weise für künstliche Befruchtungen. „Diese Erkenntnis ist eine wichtige Entwarnung und dürfte für Erleichterung bei Schwangeren sorgen“, betont Schmidt. „Sie müssen nicht fürchten, dass ihr Kind bei im oberen Normbereich liegenden TSH-Werten geistige Einbußen erleiden könnte.“
Ab TSH 2,5 mU/l in der Frühschwangerschaft ist zunächst nur weitere Diagnostik erforderlich
Um zu klären, ob eine behandlungsbedürftige Schilddrüsenerkrankung bei der Schwangeren vorliegt, empfehlen die Experten im ersten Schwangerschaftsdrittel ab einem TSH-Wert von 2,5 mU/l weitere diagnostische Maßnahmen. „Diese Diagnostik umfasst die Geschichte der Vorerkrankungen bei der Schwangeren und in der Familie, eine körperliche Untersuchung, weitere Bluttests und einen Ultraschall der Schilddrüse“, erläutert Hormonspezialistin Frank-Raue. Stellt sich heraus, dass die Schwangere tatsächlich an einer Autoimmunerkrankung wie der Hashimoto-Thyreoiditis leidet, ist eine Verordnung von Levothyroxin ab einem TSH-Wert von über 4,0 mU/l zwingend.
Weg von der Therapie reiner Laborwerte
„Insgesamt jedoch müssen wir weg von der Therapie reiner Laborwerte, wie sie im TSH-Korridor von 2,5 bis 4,0 mU/l häufig verordnet wurde, hin zur Therapie von Schwangeren mit behandlungsbedürftigen Schilddrüsenerkrankungen“, resümiert Frank-Raue.
Quellen
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