Das EU-Türkei-Abkommen, das vor genau vier Jahren in Kraft trat, hat dazu geführt, dass etwa 40.000 Asylsuchende unter entsetzlichen Bedingungen in fünf Flüchtlingscamps auf den griechischen Inseln festsitzen. Das ist mehr als das Sechsfache der offiziellen Kapazität dieser Camps. Oxfam und der Griechische Flüchtlingsrat fordern die griechische Regierung auf, ihre Pläne zum Bau neuer, gefängnisähnlicher Lager auf den Inseln aufzugeben. Die übrigen EU-Mitgliedstaaten müssen zum Ende des Leidens auf den griechen Inseln beitragen, indem sie gemeinsam Verantwortung für Menschen, die in Europa Asyl suchen, übernehmen und dies nicht allein Griechenland überlassen.
Die Menschen in den Flüchtlingslagern auf den Ägäischen Inseln haben keinen ausreichenden Zugang zu Toiletten, Duschen oder Warmwasser. Viele von ihnen sind aufgrund der unangemessenen Lebensbedingungen bereits in einem geschwächten und gefährdeten Zustand, und haben nur sehr begrenzten Zugang selbst zu medizinischer Grundversorgung. Sie in diesen unhygienischen und unsicheren Bedingungen gefangen zu lassen, ist nicht nur eine Verletzung der Menschenrechte, sondern birgt auch das Risiko einer verheerenden Gesundheitskrise, wenn COVID-19 diese Lager erreicht.
„Die aktuelle Krise ist eine unmittelbare Folge des Abkommens zwischen der EU und der Türkei, bei der Menschen, die vor allem Schutz und Sicherheit brauchen, für politische Zwecke missbraucht werden. Das ist völlig inakzeptabel und gegen das Völkerrecht und auch das europäische Recht", erklärt Spyros-Vlad Oikonomou vom Griechischen Flüchtlingsrat.
"Während aufgrund der Corona-Krise aktuell viele Unsicherheiten mit Blick auf die Zukunft bestehen, ist es dennoch entscheidend, dass die europäischen Regierungen weiterhin die Schwächsten schützen und ihr Versprechen einhalten, den Kindern Sicherheit zu bieten“, sagte Raphael Shilhav von Oxfam.
Angst, Unsicherheit und Traumatisierung
In ihrem neuen Bericht untersuchen Oxfam und der Griechische Flüchtlingsrat die verheerenden Zustände im Camp von Moria auf Lesbos. Erst am Montag ist hier ein großer Brand ausgebrochen. Dort sind fast 20.000 Menschen untergebracht, fast siebenmal so viele wie die offizielle Kapazität. Mehr als zwei von fünf Menschen im Camp sind Kinder. 60 Prozent von ihnen sind jünger als 12 Jahre, und 15 Prozent sind ohne Angehörige dort.
Angst, Unsicherheit und der lange Aufenthalt unter unsicheren Bedingungen haben einen massiven Einfluss auf die psychische Gesundheit der Kinder. Fast alle von ihnen haben Krieg und Gewalt und eine lange und gefährliche Flucht erlebt, und werden nun in europäischen Camps zusätzlich traumatisiert. Am 13. März kündigte die griechische Regierung zudem an, dass sie wegen der Corona-Krise alle Asylverfahren bis zum 10. April aussetzen wird.
Der Bericht legt auch dar, wie die griechischen Behörden bereits damit begonnen haben, alle auf der Insel Kos ankommenden Menschen für die gesamte Dauer ihres Asylverfahrens in Gewahrsam zu nehmen. Dazu gehören Familien mit sehr kleinen Kindern, besonders belastete Asylsuchende, die dringend medizinische und/oder psychosoziale Unterstützung benötigen, sowie Überlebende von geschlechtsspezifischer Gewalt. „Die Flüchtlinge, die bei der Ankunft auf Kos inhaftiert wurden, haben keinen Zugang zu Medikamenten oder Pflege und sie werden nicht einmal darüber informiert, warum sie inhaftiert wurden", sagte Oikonomou.
Oxfam und der GCR fordern von den europäischen Regierungen, gemeinsam Verantwortung für Menschen auf der Flucht zu übernehmen und Asylsuchende auf andere sichere Orte in Europa umzusiedeln.
Redaktionelle Hinweise:
- Sprecher stehen in Athen (Englisch, Griechisch) und Brüssel (Englisch) für Interviews zur Verfügung.
- Allen Asylsuchenden, die seit Juli 2019 in Griechenland eingetroffen sind, wird der Zugang zum öffentlichen Gesundheitssystem Griechenlands verweigert. Allen Asylsuchenden, die seit dem 1. März 2020 in Griechenland eingetroffen sind, wird der Zugang zum Asyl verweigert. Seit dem 13. März hat der Asyldienst alle Registrierungen, Befragungen, Eingaben usw. eingestellt. Diese Maßnahme ist für den Schutz der Gesundheit der Mitarbeiter des Asyldienstes und der Asylsuchenden von entscheidender Bedeutung. Gleichzeitig bedeutet sie, dass Asylsuchende noch länger in den griechischen Flüchtlingslagern und in der Haft bleiben werden.
- Griechenland ist verpflichtet, das Prinzip der Nicht-Zurückweisung, den Eckpfeiler des internationalen Flüchtlingsschutzes, zu respektieren. Es verhindert die Rückkehr oder Ausweisung eines Flüchtlings "in irgendeiner Weise an die Grenzen von Gebieten, in denen sein Leben oder seine Freiheit aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Meinung bedroht wäre" (Artikel 33 der Flüchtlingskonvention von 1951).
- Griechenland verabschiedete im vergangenen Jahr ein neues, rückschrittliches Asylgesetz, das eine verstärkte Inanspruchnahme der Haft für Asylsuchende für längere Zeiträume – die bis zu drei Jahre verlängert werden können – mit begrenzteren Rechtsmitteln für die Inhaftierten ermöglicht. Die Regierung kündigte außerdem an, dass sie die bestehenden EU-Hotspot-Lager auf den griechischen Inseln durch "geschlossene" oder "kontrollierte" De-facto-Gefangenenlager ersetzen wird.
- Der GCR und Oxfam fordern, dass Griechenland so schnell wie möglich den Zugang zum Asyl wiederherstellen muss. Darüber hinaus muss Griechenland mit Unterstützung der EU mehr Fachpersonal auf die Ägäischen Inseln schicken, darunter Ärzte, Psychologen und Kinderpsychologen, um sicherzustellen, dass alle Asylsuchenden bei ihrer Ankunft zumindest eine medizinische und psychosoziale Notfallversorgung erhalten. Griechenland muss außerdem dringend den Asylsuchenden erlauben, die Inseln zu verlassen und für sie eine neue sichere und würdige Langzeitunterkunft auf dem Festland zu schaffen.
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