Sauerstoff – Lebensretter aus der Dose?

Das primäre Ziel notfallmedizinischer Interventionen ist grundsätzlich die Sicherung oder Wiederherstellung der Sauerstoffversorgung des menschlichen Körpers. So fokussiert das weitverbreitete ABC-Akronym die Bemühungen des Ersthelfers bei sämtlichen Akuterkrankungen zunächst auf einen freien Atemweg (A), eine suffiziente Belüftung (B) und eine effektive Cirkulation (C), um die Sauerstoffversorgung des Organismus (insbesondere des Gehirns!) permanent zu gewährleisten. Diese Zielvorgabe gilt prinzipiell für alle Versorgungsniveaus, also sowohl für den Laienhelfer als auch für den professionellen Anwender – mit dem gravierenden Unterschied, dass der Gesundheits-Profi (z.B. Zahnarzt oder Allgemeinmediziner) über andere Möglichkeiten verfügt und seine Versorgungsqualität auch mit anderen Maßstäben gemessen werden wird. Als nach wie vor wichtigstes Notfallmedikament gilt Sauerstoff.

Das liegt angesichts der Intention nahe. Sauerstoff wird für den professionellen Bereich – und dazu zählen unabhängig von der Fachrichtung selbstverständlich auch alle Arztpraxen – in Druckflaschen in Größen von mindestens 1 Liter vertrieben, die bei einem Flascheninnendruck von 200 bar einen Sauerstoffvorrat von mindestens 200 Litern anbieten. Bei einem üblichen Sauerstoffflow von 6-10 Litern könnte der Patient also 20 bis 33 Minuten lang versorgt werden. Definitiv lange genug, um die Zeit bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes mit einer effektiven Sauerstoffkonzentration zu überbrücken. Aber eben auch mit einem gewissen Aufwand verbunden! Die Anschaffung einer Sauerstoffflasche mit geeignetem Druckminderer wird mit ca. 250 Euro zu Buche schlagen – gegenüber knapp 20 Euro für eine Sauerstoff-Sprayflasche mit einem Flascheninhalt von 8 Litern, wie sie als Wellness-Produkt schon seit geraumer Zeit angeboten wird. Doch sind diese Spraydosen tatsächlich eine seriöse Alternative für den professionellen Anwender? Im Folgenden sollen einige relevante Aspekte und Argumente beleuchtet werden:

1. Die Sauerstoffkonzentration ist unzureichend!

Um effektiv profitieren zu können, benötigt ein unter Dyspnoe leidender spontan atmender Patient im Zustand schwerer Hypoxie eine sehr hohe Sauerstoffkonzentration, die durch kein flowabhängiges Applikationssystem bei Abgaben von weniger als 6 l/min erreicht wird. Die Leitlinien zur Anaphylaxie der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (1) et al beispielsweise empfehlen zur Akuttherapie bei Patienten mit einer Anaphylaxie einen Sauerstofffluss von 5 bis 12 l/min. Die Reanimations-Leitlinien des Europäischen Reanimationsrates (ERC) empfehlen für beatmungspflichtige Patienten mit einem Kreislaufstillstand eine „maximale“ Sauerstoffkonzentration. Bei Verwendung geeigneter Reservoirsysteme lässt sich diese Forderung mit Flussraten von 6 (3) bis > 10 l/min (2) erfüllen. Die Flussraten der Sauerstoff-Spraydosen werden nicht angegeben, dürften aber deutlich unter 6 l/min liegen. Und wären sie in diesem Bereich, müsste die Flasche bei einem Vorrat von insgesamt nur 8 Litern nach 1,5 Minuten (!) ausgetauscht werden.

2. Das Applikationssystem kann bei einem geringen Flow nicht sicher betrieben werden!

Das Applikationssystem verbindet die Sauerstoffquelle mit dem Patienten. Wenn eine Sauerstoffmaske Teil des Lieferumfangs ist, dürften schon die Angaben auf der Packungsbeilage der Maske eine Verwendung mit der Spraydose ausschließen, denen in der Regel zu entnehmen ist, dass die Maske mit einem Flow von mindestens 4 (-6) Litern pro Minute zu betreiben ist. Schlimmstenfalls ist bei einem geringeren Sauerstofffluss als ca. 6 l/min  infolge einer unzureichenden Durchmischung der Ausatemluft mit nachströmendem Sauerstoff sogar eine Kohlendioxidkumulation in der Maske denkbar (4).

3. Der Vorrat reicht nicht aus!

Ein Sauerstoffvorrat von 8 Litern in der Spraydose reicht bei einem Bedarf von mindestens 6 Litern pro Minute bei weitem nicht aus, um die Zeit bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes zu überbrücken. 

4. Die kontinuierliche Sauerstoff-Applikation ist nicht verlässlich zu gewährleisten!

Da die Abgabe des Spraydosen-Sauerstoffs nicht kontinuierlich, sondern per Knopfdruck erfolgt, bindet das Verfahren entweder permanent einen Helfer oder ist von einer sehr guten Compliance des Patienten abhängig, der das System selbstständig bedienen muss. Davon ist in Notfallsituationen nicht auszugehen. Ein Einsatz unter Reanimationsbedingungen, bei der die Flasche an einen Beatmungsbeutel angeschlossen werden müsste, wäre unter diesen Bedingungen kaum realisierbar.

5. Der Spraydosen-Sauerstoff ist nicht günstiger, sondern wesentlich teurer!

Anschaffungskosten von ca. 20 Euro für 8 Liter Sauerstoff entsprechen 500 Euro für 200 Liter Sauerstoff. Eine (wiederbefüllbare!) 1 l-O2-Flasche mit 200 Litern Sauerstoff kostet ca. 100 Euro. Der Druckminderer für ca. 150 Euro ist selbstverständlich wiederverwendbar und kann ohne technischen Aufwand innerhalb weniger Sekunden ausgewechselt werden. 

Fazit:

Insgesamt könnte der Spraydosen-Sauerstoff einen Stellenwert als Wellness-Produkt oder als Erste Hilfe-Ergänzung für Laienhelfer mit Risikopatienten im Angehörigenumfeld beanspruchen. Eine Alternative zum medizinischen Sauerstoff in Druckflaschen für die professionelle Notfallmedizin ist er aus den genannten Gründen sicher nicht!

 

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