Fachkräftesicherung als strategisches Ziel

Anhaltender konjunktureller Aufschwung, Fachkräftemangel und unbesetzte Ausbildungsplätze waren die zentralen Themen in der Sommervollversammlung der Handwerkskammer Reutlingen am 18. Juli 2018.

Laut jüngster Konjunkturumfrage setzt sich der Aufschwung im Handwerk fort. Mit dafür verantwortlich hält Kammerpräsident Harald Herrmann auch das Vertrauen zwischen Kunden und Handwerkbetrieben: "Die Auftragsbücher sind immer noch voll, die positive Grundstimmung wird von nahezu allen Gewerben und Gewerken geteilt."

75 Prozent der befragten Betriebe bewerteten die Geschäftslage im vergangenen Quartal als gut, das sind sieben Prozentpunkte mehr als noch vor einem Jahr und so viele wie noch nie zuvor in einem Frühjahr. Das etwas abgeschwächte Wachstum der Gesamtwirtschaft spüre das Handwerk noch nicht. Der Ausblick auf das Sommerquartal fällt äußerst zuversichtlich aus.

Allerdings läge es nahe zu vermuten, dass die zunehmende Nachfrage auch die Umsätze der Handwerker ansteigen ließe. Doch selbst bei gut ausgelasteten Branchen, wie dem Ausbauhandwerk, haben sich die Umsätze schwächer entwickelt. Während sich der Auftrag von Privatkunden für einen Maler und Schreiner in der Regel rechnet, ist es für die Betriebe bei größeren Objekten mitunter schwierig, auskömmliche Preise zu erzielen.

Nach wie vor fehle es an Fachkräften. "Viele Unternehmen suchen händeringend Fachpersonal, doch es fehlen qualifizierte Bewerber. Das geht so weit, dass sie über Leihfirmen aus Polen, der Tschechoslowakei oder noch östlicher Personal anwerben". Nach Herrmann habe sich der Fachkräftemangel längst zu einem Wachstumshemmnis entwickelt. Die Fachkräftesicherung müsse sich als ein weiteres strategisches und unverzichtbares Handlungsfeld des Handwerks herauskristallisieren.

Weiter ging Herrmann auf die Einführung der Meisterprämie in Höhe von mindestens 1.500 Euro ein, wie sie Landeshandwerkspräsident Rainer Reichhold fordert und in Bayern bereits existiert: "Wenn es die Landesregierung ernst meint mit der Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Ausbildung, dann muss die Prämie schnellstmöglich kommen. Nur so kann der Meister mit dem kostenfreien Hochschulstudium konkurrieren."

Abschließende Worte widmete Herrmann noch dem Bauprojekt der Bildungsakademie Tübingen. Beim Rohbau des neuen Internats und beim Anbau gäbe es Verzögerungen, das Richtfest könne aber wie geplant Mitte September gefeiert werden.

Hauptgeschäftsführer Dr. Joachim Eisert griff das Problem der derzeitigen Ausbildungssituation im Kammerbezirk auf. Zahlreiche Ausbildungsstellen blieben unbesetzt. Aktuell seien noch rund 600 Lehrstellen frei: "Das ist zum einen der demografischen Entwicklung geschuldet, zum anderen dem Trend zum höheren Schulabschluss mit anschließendem Studium." Trotz sicherer Jobs und guter Karriereperspektiven gerate die duale Ausbildung immer mehr ins Hintertreffen. Eisert weiter: "In vielen Fällen ist die Möglichkeit, die eine Berufsausbildung im Handwerk bietet, nach wie vor bei jungen Menschen und ihren Eltern nicht bekannt. Wir müssen weiterhin daran arbeiten, dass sich das ändert. Handwerk ist cool, nicht dröge oder altbacken, wie es einige meinen."
Die Handwerkskammer werde fortfahren müssen, Jugendliche für handwerkliche Berufe zu begeistern. Erfreulich sei, dass inzwischen immerhin 14,2 Prozent aller Auszubildenden im Handwerk ein Abitur vorweisen. Im Jahr 2010 waren es gerade einmal fünf Prozent. Klar müsse allerding sein, dass viele nach ihrer Handwerksausbildung eine Weiterbildung oder ein Studium anstreben. Diese jungen Leute müsse man versuchen, im Handwerk zu halten.

Von großer Bedeutung nach wie vor sei aber auch, Flüchtlinge in ein Ausbildungsverhältnis zu bringen ¬- vor allem vor dem Hintergrund des Nachwuchs- und Fachkräftemangels. Eisert: "Derzeit absolvieren bei uns 214 Menschen mit Fluchtgeschichte eine Ausbildung. Das sind immerhin 5,4 Prozent der Neuabschlüsse bei Ausbildungen. Ich finde, das ist ein im Kammervergleich guter und auch ein wichtiger Wert."

Ein anderes von Eisert angeschnittenes Thema galt auch der im Koalitionsvertrag der Bundesregierung vorgesehenen so genannten Rückvermeisterung von Gewerben, die im Zuge der Novelle der Handwerksordnung von 2004 zu-
lassungsfrei wurden. "Eine Rückvermeisterung ist politisch begrüßens- und wünschenswert, weil sie das Meisterprinzip stärkt. Sie muss aber verfassungs- und europafest sein. Zudem ist der Meistertitel immer noch ein Qualitäts-nachweis im Handwerk, der dem Verbraucherschutz dient. Ginge man davon aus, dass es Ungelernte gleich gut können wie qualifizierte Handwerker, würde jedes Beruflichkeitsprinzip in Frage gestellt", so Eisert.

Als letztes Thema nahm sich Eisert die neue EU-Datenschutzgrundverordnung vor. Die gigantische Anmeldeflut zu den beiden Informationsveranstaltungen der Kammer im Mai zeige, wie dieses Thema den Betrieben unter den Nägeln brenne. Insgesamt 1.000 interessierte Besucher informierten sich über die DSGVO. Für den Kammer-Justiziar Richard Schweizer seien die vergangenen Wochen die beratungsintensivsten gewesen, die er in seiner bald zehnjährigen Tätigkeit erlebt habe. Das zeige immer wieder aufs Neue, wie wichtig qualitativ hochwertige Beratungs- und Dienstleistungen der Kammer sind.

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