Pränataldiagnostik (PND) sei ein beinahe unausweichliches Angebot in der Schwangerenvorsorge geworden, sagte der württembergische Landesbischof Dr. h. c. Frank Otfried July. Begründen müsse man inzwischen eher ein „Nein“ zur PND. „Wir sehen mit Sorge, wie sich die gezielte Suche nach Behinderungen und Krankheiten beim ungeborenen Kind als eine Normalität etabliert hat, die werdende Eltern unter Druck setzt und sie in unerträgliche Entscheidungskonflikte stellen kann.“ Es gebe eine verantwortungsvolle Schwangerschaft auch mit dem „Recht auf Nichtwissen“.
Die ethische Brisanz vorgeburtlicher Diagnostik zeigte der evangelische Landesbischof anhand des genetischen Bluttests auf Trisomie 21 und weitere genetische Besonderheiten auf. Von den Pharmafirmen werde er als risikoloser Test beworben, der werdenden Eltern mit einer mütterlichen Blutprobe bereits in der frühen Schwangerschaft Sicherheit und Gewissheit verspricht. „Tatsächlich ist es ein ausschließlich selektiver Test, der keinerlei therapeutisches Potenzial hat. Wir warnen deshalb vor der Aufnahme des genetischen Bluttests in den Leistungskatalog der Krankenkassen.“ Eine Kostenerstattung begünstige eine Ausbreitung des Verfahrens und es sei zu befürchten, dass sich dieser Test in absehbarer Zeit zu einem Screening auf Trisomie 21 ausweite. Dies erhöhe den Erwartungsdruck auf Eltern, ihn zu nutzen und bei einem auffälligen Befund die entsprechende Konsequenz zu ziehen. Heute schon entscheiden sich nach Auskunft der Ärzte neun von zehn Paare mit der Diagnose Trisomie 21 für einen Abbruch. „Menschen mit Behinderung fühlen sich durch diese Entwicklung in ihrer Existenz in Frage gestellt“, stellte July fest.
Bischof Dr. Gebhard Fürst betonte, dass Aufklärung, Beratung und Begleitung Eltern dabei unterstützen, sich ein eigenständiges Urteil über Einsatz oder Konsequenzen der PND zu bilden. „Wir ermutigen Eltern, ihren Beratungsanspruch zu nutzen. Egal ob vor, während oder nach einer pränataldiagnostischer Untersuchung.“ Kirchliche Schwangerschaftsberatungsstellen seien vernetzt mit weiteren Angeboten von Diakonie und Caritas, die auch Familien unterstützen, die ein Kind mit Behinderung erwarten. Fürst appellierte an die Ärztinnen und Ärzte, ihrer gesetzlichen Informations- und Vermittlungspflicht nachzukommen. „Dies bedeutet, werdende Eltern bei der Mitteilung eines auffälligen Befundes zu beraten und weiterzuvermitteln. In den kirchlichen Beratungsstellen können Frauen und Paare eine besondere Aufmerksamkeit für ethische, religiöse und existenzielle Fragen erwarten. Auch eine Vermittlung zu Selbsthilfegruppen oder an Behindertenverbände kann hilfreich sein.“
Allerdings, so Fürst weiter, sei „Beratung kein Allheilmittel zur Lösung gesellschaftlicher Konflikte“. Beraterinnen und Berater könnten werdenden Eltern in ihrer Not beistehen, ihre Verzweiflung mit aushalten und mit ihnen Wege aus der Krise suchen – ihnen aber nicht die Last der Entscheidung abnehmen. „Beratung kann auch nicht die Ängste vor den Belastungen kleinreden, die auf Familien mit behinderten Kindern in unserer Gesellschaft zukommen.“ Familien mit einem Kind mit Behinderung benötigten umfassende, alltagsnahe und unbürokratische Hilfe und Unterstützung. „Sie sollen und müssen das Gefühl haben können, dass ihr Kind in dieser Gesellschaft willkommen ist. Ökonomische und gesellschaftliche Verantwortung für Menschen mit Behinderung darf nicht individualisiert werden und einzelnen Paaren oder Frauen überlassen werden, die sich für ein Kind mit Behinderung entschieden haben“, betonte der Rottenburger Bischof. „Es beunruhigt mich zutiefst zu erfahren, dass Eltern sich, trotz aller Debatten um Inklusion, zunehmend dafür rechtfertigen müssen, wenn sie ein Kind mit Behinderung bekommen haben.“ Eine solche Entwicklung stehe in eklatantem Widerspruch zu den Vorstellungen von Menschenwürde für alle Menschen und der UN-Behindertenrechtskommission. Fürst: „Inklusion beginnt bereits vor der Geburt.“
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